59. Ausgabe, 4. Quartal 2015

Jagdschloss, ganz viel Wein und ein verwunschener Wald

Überraschung am Ortsausgang von Halberstadt

Das älteste Riesenweinfass der Welt, einer der ersten Landschaftsparks Deutschlands, vielfältige Parkarchitekturen, die das Barock lebendig werden lassen. Die Hügelkette südlich des Harzstädtchens, die sogenannten Kattfußberge, laden zu einer Reise in die Vergangenheit ein. Folgen Sie mit uns den Spuren von Ernst Ludwig Christoph von Spiegel, der für 30.000 Taler nicht nur seinen Traum verwirklichte, sondern eine Vision umsetzte.

Wer heute durch diesen prächtigen Mischwald wandert, kann sich lebhaft vorstellen, wie hier einst Johann Wolfgang von Goethe lustwandelte oder der Halberstädter Domsekretär und Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim beim Spaziergang den literarischen Disput mit jungen Kollegen suchte. Sie setzten sich vielleicht auf eine Parkbank beim Mausoleum, diskutierten gegenüber des Belvederes oder blickten schweigend von der Anhöhe hinab ins Tal. Bis heute sind die Spiegelsberge ein beliebtes Ausflugsziel südlich von Halberstadt.

Hausherr ging mit 11 Jahren zur Uni

Einst hießen die kahlen Anhöhen Kattfußberge. Dieses Gebiet erwarb Ernst Ludwig Christoph von Spiegel, Freiherr zum Diesenberg, 1761. Der Halberstädter Domherr wollte sich hier einen Traum verwirklichen: einen Landschaftspark nach englischem Vorbild mit barockem Einfluss zu schaffen.

Von Spiegel wurde in Gießen geboren und bereits mit 11 Jahren an der dortigen Universität immatrikuliert. Sein Onkel, Ferdinand August von Spiegel, der als Erzbischof das Erzbistum Köln leitete, vermittelte den jungen Mann 1731 als Domherrn nach Halberstadt. 1746 wurde der Neffe Domscholaster und sieben Jahre später Dechant. Außerdem war er Propst für die Halberstädter Stifte St. Peter und Paul und Unserer Lieben Frauen.

Der Aussichtsturm (Belvedere) © Thomas Pfundtner
Der Aussichtsturm (Belvedere) liegt unweit des Jagdschlosses und bietet einen wunderbaren Blick ins Tal und über den gesamten Landschaftspark.

Aus alten Steinen Neues geschaffen

Zwei Jahre nachdem Ernst Ludwig Christoph von Spiegel das hügelige Gelände auf Anregung seines Freundes Gleim erworben hatte, begann mit dem Ende des Siebenjährigen Kriegs die Aufforstung. Obwohl der Domdechant wenig Ahnung von der Anlage von Landschaftsgärten hatte, übernahm er Planung, Pflanzung und Bebauung. Dann ließ der Freiherr mehrere Gebäude hochziehen, die damals für einen Park typisch waren. Als erstes errichtete von Spiegel mit den Steinen des ehemaligen Kommandantenhauses der Festung Regenstein ein Pächterhaus und eine Fasanerie. 1772 entstand die Eremitage, zehn Jahre später wurde zur beschaulichen Besinnung und inneren Einkehr das Belvedere als Aussichtsturm errichtet. Nur ein Jahr später das Mausoleum. Baulicher Höhepunkt aber ist bis heute das zwischen 1780 und 1782 erbaute Jagdschloss, das auf dem Bergkamm entstand und heute von Halberstadt kommend auf dem Weg in dieses Idyll immer durch die Bäume blitzt und die Richtung weist.

Ältestes Riesenweinfass der Welt

Im Keller steht das älteste  Riesenweinfass der Welt. Mit Erlaubnis des preußischen Königs Friedrich II. wurde das 1594 gebaute Stück aus dem ehemaligen bischöflichen Residenzschloss in Gröningen zusammen mit dem dortigen Schlossportal zum Spiegelsberg geschafft. Erschaffen wurde das Riesenfass, das über ein Fassungsvermögen von 144.?000 Litern (192.000 Flaschen) verfügt, von Michael Werner aus Landau. Diese überdimensionalen Fässer waren während der Renaissance und des Barocks hauptsächlich Prunk- und Repräsentationsobjekte.

Übrigens: Das Halberstädter Weinfass ist zertifiziert – 2008 bescheinigte die Redaktion des Guinnessbuch der Rekorde mittels einer Urkunde, dass es sich tatsächlich um das älteste Riesenweinfass der Welt und um das größte Fass des ausgehenden 16. Jahrhunderts handelt. Was Sie tun müssen, um dieses handwerkliche Kunstwerk zu besichtigen, erfahren Sie rechts im Kasten.

Halberstädter Riesenweinfass
2008 bestätigte das Guinnessbuch der Weltrekorde, dass das Halberstädter Riesenweinfass das älteste der Welt ist. Derzeit ist eine Besichtigung nur im Rahmen einer Gruppenführung möglich.

Zurück zum Freiherrn von Spiegel: Ein Jahr nach der Einweihung des Jagdschlosses gab Spiegel zu Ehren der sich auf der Durchreise befindlichen Herzogin-Mutter Anna-Amalia von Sachsen-Weimar ein großes Fest. Unter ihrem Gefolge war auch Johann Wolfgang von Goethe, der sich im Jagdschloss und im Park aller Wahrscheinlichkeit auch mit Gleim traf und sich mit dem Dichterkollegen austauschte. Beeinflusst von den bürgerlichen Ideen der Aufklärung, die Spiegel hauptsächlich durch Johann Wilhelm Ludwig Gleim und dessen literarischen Kollegen vermittelt wurden, öffnete der Hausherr bereits 1771 seinen Park für die Halberstädter Bevölkerung. Drei Jahre nach der Fertigstellung des Schlosses starb Ernst Ludwig Christoph von Spiegel, Freiherr zum Diesenberg, auf einer Reise nach Wetzlar. Beigesetzt wurde er von seinem Sohn im Mausoleum des Parks. Das Gebäude ist ein sechseckiges Bauwerk mit dorischen Eckpilastern und einer halbkugelförmigen Steinquader-Kuppel. Das Mausoleum wurde von einer Umzäunung geschützt. An ihren Ecken stehen Pfeiler, die jeweils eine Schmuckurne tragen. 1811 wurde der Leichnam durch den Sohn in die Familiengruft nach Seggerde überführt.

Ausflug in die Gegenwart

Seit 1903 ist das gesamte Areal städtisches Eigentum. Vor gut einem Jahr wurde die Gaststätte im Jagdschloss geschlossen. Natürlich kann es noch für Veranstaltungen und Übernachtungen gemietet werden. Zum Verweilen und Rasten aber lädt nur noch das gemütliche Gasthaus am Fuße der Spiegelsberge ein. Es befindet sich in unmittelbarer Nähe des heutigen Tierparks, der im Bereich des ehemaligen Schießhauses entstand und ebenfalls einen Besuch wert ist.

Fest steht: Wer sich Zeit nimmt und die Spiegelsberge in aller Ruhe und mit Muße durchwandert, entdeckt in dem Zauberwald nicht nur wunderbare Bauwerke, sondern auch eine lebhafte und faszinierende Natur, die zum Wiederkommen einlädt.

Autor: Thomas Pfundtner

INFOS

Landschaftspark Spiegelsberge
In den Spiegelsbergen 4, 38820 Halberstadt
www.gartentraeume-sachsen-anhalt.info

Park:  Ganzjährig geöffnet. Gruppenführung „Der Landschaftspark Spiegelsberge“ buchbar von Mai bis Oktober bei Halberstadt-Information. Die 2-stündige Führung, inkl. Besichtigung des Riesenweinfasses, kostet für 20 Personen 48 Euro, jeder weitere Teilnehmer 2,50 Euro. Telefon: 03941 551815

Schloss: Das Jagdschloss kann für Hochzeiten, Feiern, Schulungen oder Tagungen gebucht werden. Übernachtungen in drei Doppelzimmern und einer Suite sind möglich. Auskünfte erteilt Werner Müller, Tel.: 03941 583995

Tiergehege: April bis März geöffnet. Eintritt: Erw.: 4 €, Kinder 1 oder 2 €, Familienkarte 10 €.

Gästehaus: Gastronomie täglich von 11 bis 20 Uhr. Übernachtungen möglich. Tel.: 03841 621914 oder info@gaestehaus-spiegelsberge.de.
www.gastehaus-spiegelsberge.de

Anfahrt

Aus Halle: A 14 Richtung Magdeburg bis Ausfahrt Bernburg. Dann der B 79 Richtung Halberstadt folgen.  In der Stadt folgen Sie der Beschilderung Spiegelsberge.
Aus Magdeburg: B 81 bis Halberstadt. Dann der Beschilderung Spiegelsberge folgen.
Mit Routenplaner: Kirschallee eingeben. Sie landen unweit des Gästehauses und des Tiergartens. Von hier einfach dem Weg zum Jagdschloss folgen.