65. Ausgabe, 2. Quartal 2017

Neu denken schneidet alte Zöpfe ab

Eine Betrachtung zum „Cross Creation“ und den Folgen für unser tradiertes Arbeitsmodell vom sicheren Job

Für die Journalistin und Kommunikationsexpertin Beate Munding ist die größte  Herausforderung für das Unternehmen der Zukunft nicht etwa die Produktentwicklung, sondern die Personalrekrutierung und -führung: „Wer künftig gute und kreative Mitarbeiter haben will, der muss mehr bieten als ein Topgehalt.“ Das gilt selbstredend auch für öffentliche Verwaltungen. Denn egal wo, die Bewerber von heute sind selbstsicher und wissen genau, was sie wollen - und was eben nicht. Sie fragen nicht: „Was erwartet das Unternehmen von mir?“, sondern „Was tut das Unternehmen für mich?“ Dabei geht es nicht vordergründig um Geld, sondern um Fragen, wie viele Überstunden gemacht werden, wie schnell sie Verantwortung übernehmen können und welche Sinnhaftigkeit der Job mit sich bringt.

Wer die Arbeitswelt der Zukunft auf der Agenda hat, der muss sich seinen Mitarbeitern als Partner nähern. „Cross Creation“ (Neu denken) beginnt beim Zugang zu den eigenen Leuten. Das ist die Basis. Von allem. Zukunftsforscherin Kirsten Brühl, die auch als Speakerin für das Zukunftsinstitut Deutschland arbeitet, meint, dass „neu denken“ viel damit zu tun hat, sich von Strukturen zu lösen oder sie zumindest zu umgehen. Neue Produkte, Innovationen oder Projektideen entstehen nicht mehr beim wöchentlichen Meeting oder einsam im Chefzimmer und schon gar nicht in tradierten Abteilungswelten. Selbst die zu Teams umgewandelten Bereichseinheiten sind in der Regel unfähig, so „schräg“ zu denken, dass ihnen der große Wurf gelingen könnte. Dazu bedarf es flacher Hierarchien, flexibler Erwerbsformen und einer mobilen Arbeitswelt. Matthias Horx, Autor und Zukunftsforscher, hat herausgefunden, „dass sich mit der Digitalisierung der letzten 20 Jahre tief im Organismus der Arbeit Grundlegendes verändert hat.“ Er spitzt es in der These zu: 

„Langsam löst sich Arbeit von der Präsenz.“

Zunehmend ist zu beobachten, dass Firmen erfolgreicher als andere sind, deren Chefs nicht mehr auf In-House, sondern auf Output pochen. Solche Typen, denen es im Grunde egal ist, wo und wann die eigene Mannschaft kreativ ist. Hauptsache, sie ist es überhaupt und liefert Ideen am Fließband. Und wenn es was bringt, die klügsten Köpfe aus allen Firmenbereichen in einer kargen Waldhütte, in einem leeren Schwimmbecken oder in einem stockdunklen Raum zu versammeln, dann ist es eben so.

Wer seinen Mitarbeitern neue Freiheiten im Arbeitsalltag eröffnet, Reize setzt, den Kreis mal erweitert, mal verkleinert, der merkt schnell, dass er sie damit unverhofft zu neuem Denken provoziert. Neue Trends kommen ihnen dabei entgegen, denn sie reißen verkrustete Strukturen auf, lösen sich vom Seriellen, lassen Freiraum zum Experimentieren. Irrungen, Wirrungen, Pleiten, Pech und Fehlversuche inklusive. Macht nichts, Hauptsache weiter, immer weiter. Matthias Horx: „Durch den Megatrend Gender Shift entstehen vielfältige Arbeitsmodelle jenseits der Acht-Stunden-Logik – auch für Männer. Und der demographische Wandel öffnet die Arbeitswelt in der biographischen Achse: Die Talente der Älteren werden zunehmend gesucht.“ Ohne Frage, die Suche nach Eigenständigkeit und Emanzipation in der Arbeit ist längst Chefsache. Man weiß: Flexibilität und Innovationsdenken sind in unserer komplex-globalen Wirtschaftswelt ein Produktionsfaktor.

Doch das Bilden von neuen Gruppen, das schnelle Erfinden und Verwerfen von Ideen, das Ausprobieren und das Zulassen von Fehlern hat auch Schattenseiten. Was gut für die Produktentwicklung ist, kann für das Individuum gefährlich werden. Psychologen sehen Gefahren in der Co-Creation, dem vernetzten Arbeiten in fluiden Organisationen, grenzenlos und schrankenfrei. Denn wer Macht abgibt, gibt Sicherheit auf. Wer macht das schon gern? In der Transformation zum vernetzten Unternehmen haben Führungskräfte nur dann eine Chance, wenn sie ihren Mitarbeitern Sicherheit vermitteln. Andererseits erfordert das Offenbaren des eigenen Nicht-Wissens oder gar Scheiterns eine beachtliche persönliche Souveränität. Um die offene Auseinandersetzung im Team nicht nur im Erfolgs-, sondern auch im Misserfolgsfall zu ermöglichen, muss die Leitung für geschützte Räume und offene sanktionsfreie Kommunikation sorgen. Zukunftsforscherin Kirsten Brühl ist sich sicher:

„Gemeinsames Entwickeln von Lösungen erfordert wiederholte positive Lernerfahrungen mit dem Sich-Einlassen auf andere Unternehmens-Welten, dem konstruktiven Umgang mit Konflikten und dem Aushandeln von Kompromissen.“

Industrie 4.0 ist Realität, die Transformation unserer Arbeitswelt aber braucht noch Zeit. Neu denken ist nicht überall schon heute, aber schon bald. Ein Blick auf die Statistik genügt: Obwohl der Anteil der Selbständigen, der Gründer, Co-Worker oder Projektarbeiter sichtbar steigt, so bleibt die abhängige Lohn-Arbeit doch unsere zentrale Arbeitskultur. Die Angst vor dem Sicherheitsverlust ist zum Teil sogar größer geworden – hysterische Debatten um Burnout, Prekariat und Billiglöhne verstärkten eher die Ängste, als Freiheiten zu fördern. Angst aber zementiert das Gestrige, betoniert Hierarchien und Ausbeutungsverhältnisse. Das wird nicht so bleiben. Garantiert. Denn tief im Organismus der Arbeit hat sich längst Entscheidendes verändert. Steve Jobs brachte es auf den Punkt: „Kreativität heißt: Dinge miteinander verbinden. Wenn Sie kreative Menschen fragen, wie sie etwas geschaffen haben, fühlen sie sich ein bisschen schuldig, weil sie gar nicht wirklich etwas getan, sondern nur etwas gesehen haben. Es war einfach offensichtlich für sie. Deswegen waren sie fähig, Erfahrungen zu verbinden und neue Dinge zu kreieren.“

Diese Leichtigkeit ist es, die der Publizist Brian Dean „Antiwork“ nennt. „Antiwork“, sagt er, „ist eine moralische Alternative zu unserer Obsession mit ,Jobs‘, die unsere Gesellschaft schon so lange plagt. Ein Projekt, um Arbeit und Freizeit radikal zu reorganisieren. Eine kognitive Gegenmacht zu jener ,Harten Arbeit‘, die als Resultat calvinistischer Arbeitsethik unser Bewusstsein und unsere Zeit prägt.“

Vermutlich ist die Zeit schon überfällig, neu zu denken und unsere Arbeit neu zu definieren. Es bemerken nur nicht alle. Noch nicht.

Autor: juj