1. Ausgabe 2023 | Nr. 88

Chronos: die Geschichte der Uhr/Zeit

Von der Schattenzeit bis zur Smart Watch

Die Möglichkeit, sich auf einen festen Zeitpunkt zu verständigen, bildet einen Grundpfeiler moderner Zivilisation. Eine Uhr am Handgelenk oder ein Blick aufs Smartphone ist heute selbstverständlich. Diese Entwicklung begann allerdings bereits vor tausenden von Jahren und ist auch übermorgen noch nicht abgeschlossen. Die Chronik von Veränderung, Krieg und Liebe, Stunde für Stunde.

 

Der Begriff „Zeit“ ist diffus. Eine Stunde beim Zahnarzt: unendlich lang. Eine Stunde mit der großen Liebe: nur einen Wimpernschlag. Die gut messbaren Zeiteinheiten unseres Alltags basieren auf astronomischen Gegebenheiten: Die Erde umkreist die Sonne in ca. 365 Tagen, um sich selbst in 24 Stunden, und der Glaube der Babylonier sorgte für die bis heute verwendete Einteilung in 60 Minuten. Die moderne Physik hingegen begreift Zeit anders, Zitat: „Eine Sekunde entspricht 9 192 632 770 Perioden der Strahlung des Überganges zwischen den beiden Hyperfeinstruktur-Niveaus des Grundzustandes von Atomen des Elements Cäsium-133.“

Die Einteilung in sieben Wochentage hingegen geht mutmaßlich auf den Götterglauben der Antike zurück und die Kenntnis über sieben bewegliche Himmelskörper; zeitgleich die Namenspaten der Wochentage – Sonntag (Sonne), Montag (Mond), Tuesday/Dienstag (Kriegsgott „Tiu“), Mercoledi/Mittwoch (Gott des Wassers „Merkur“), Donnerstag (Donnergott „Donar“), Vernedi/Freitag (Göttin der Fruchtbarkeit „Venus“). Aber so groß muss dieser Exkurs gar nicht werden, denn die Geschichte der Zeiterfassungsinstrumente beginnt mit einer einfacheren Dualität: Licht & Finsternis.

I: Licht & Finsternis

Welt: Menschen bemerken, dass Tag und Nacht sich in regelmäßigen Zyklen abwechseln. Dass es dunkler wird, wenn die Sonne untergeht und heller, wenn sie morgens am Horizont auftaucht. Dass die Schatten sich verändern, wenn die Sonne wandert.

II: Obelisk

ca. 1500 v. Chr.: Die Quellen werden sich später nicht mehr einig darüber sein, welches Volk zuerst auf die Idee kam, den Schattenwurf von Gegenständen auszunutzen, um die ungefähre Tageszeit zu bestimmen. Ägyptische Obelisken werden u.a. zur Zeitmessung eingesetzt. Bei einer Ausgrabung A. D. 2013 wird im Tal der Könige eine Sonnenuhr gefunden werden, die auf ca. 1500 v. Chr. zurückdatiert wird – eine der ältesten Konstruktionen dieser Art.

III: Sonnenuhr/Schattenuhr

ca. 500 v. Chr.: Die Grenzen zwischen Schatten- und Sonnenuhren sind fließend. Eine bekannte Konstruktion für eine Schattenuhr funktioniert über T-förmige Balken und muss nach einer Tageshälfte gedreht werden. Der Schatten wandert über den Querbalken und lässt eine relativ genaue Einordnung der Tageszeit zu. Wahrscheinlich haben sich ähnliche Zeiterfassungsversuche in anderen Zivilisationen parallel entwickelt, auch dank Handelsreisen. Nachteile: jahreszeitbedingte Abweichungen bis zu 16 Stunden, funktioniert nicht bei Kuschelwetter.

V: Die Elefanten-Uhr des al-Dschazarī

Parallel entwickelt sich die Wasseruhr im antiken Griechenland weiter. Wasser wird nunmehr als fluide Triebfeder genutzt, um mechanische Uhrwerke anzutreiben. Im dritten Jahrhundert v. Chr. entwickelt Ktesibios, Schüler des Archimedes, eine Wasseruhr mit Ziffernblatt und Uhrwerk. Aufwendig gestaltete Wasser- aber auch Sonnenuhren gelten jahrhundertelang auch als Prestigeobjekt.

1206: Wann genau die erste „Elefanten-Uhr“ gebaut wurde ist nicht bekannt. Aber die konkreten Konstruktionspläne und die Mechanik dahinter beschreibt der islamische Ingenieur (und quasi die erste verbriefte Do-it-yourself-Ikone) Ismail al-Jazari 1206 n. Chr. in seinem „Buch des Wissens von sinnreichen mechanischen Vorrichtungen“. Konstruktionen nach diesem Bauplan sind später überall auf der Welt zu finden. Der Wasseruhren-Automat hat die Gestalt eines Elefanten, auf dem ein Schreiber sitzt. Dessen Feder dient als Minutenzeiger. Zu jeder halben Stunde gibt es ein akustisches Signal und Figuren bewegen sich. Das Design beinhaltet Anleihen indischer, persischer, chinesischer, afrikanischer und islamischer Kulturen.
Anmerkung: Die Geschichte der Wasseruhr alleine übersteigt das Platzangebot dieses Artikels. Bei Interesse empfehlen wir folgende Literatur: „Die Uhr des Königs Ezechias“ (Laurence Bodenmann, Michael Markovits).

VI: Mechanische Uhren

Die Entwicklung der mechanischen Uhr, mit Zahnrad etc., ist kaum dokumentiert. Als Meilenstein wird allerdings hierbei die Erfindung der „Hemmung“ angesehen, jenes kleinen Bauteils, das für den regelmäßigen Gang einer mechanischen Uhr sorgt. Dieses Bauteil wird unter anderem in einer Konstruktion des chinesischen Ingenieurs Su Song festgestellt, ca. 1086. Uhren und Zeitmessung spielt im Mittelalter vor allem in Klöstern und Ähnlichem eine Rolle, um Gebets- und Arbeitszeiten zu koordinieren. Unter Mönchen finden sich exzellente Uhrmacher. Anmerkung aus regionalem Anlass: Gerbert von Aurillac, der spätere Papst Silvester II., installiert eine wasserdruckbetriebene Röhrenuhr in Magdeburg.

VII: Minuten und Sekunden

1457: Mechanische Uhren zeigen halbe und ganze Stunden an. Im christlich geprägten Mittelalter geht es dabei vornehmlich um Gebetszeiten. Sonnen-, Kerzen- und Wasseruhren werden weiterhin verwendet. Das Fachbuch „Time and timekeeping instruments. In: History of astronomy: an encyclopedia“ erwähnt das Jahr 1457, in dem das erste Mal eine mechanische Uhr Stunden UND Minuten anzeigt. Im folgenden Jahrhundert werden in Deutschland Uhren dokumentiert, die darüber hinaus auch Sekunden anzeigen.

VIII: Huygens’ Zeit

1656: Obwohl schon etwa Galileo Galilei die Vorteile einer Pendeluhr in seinen Notizen beschrieben hat, setzt erst der niederländische Mathematiker und Physiker Christiaan Huygens die Theorie in die Praxis um und baut 1656 die erste Pendeluhr, die im Verlauf eines Tages lediglich zehn Sekunden Latenz aufweist.

1676: Zwanzig Jahre später revolutioniert Huygens die Welt der Uhren erneut, als er der Technik der Taschenuhr eine „Spiralfeder“ hinzufügt und sie damit deutlich weniger anfällig gegenüber äußeren Einflüssen macht. Er schafft damit die Grundlage für die serielle Herstellung von (Taschen)Uhren – Patent inklusive.

IX: Über den Wolken

1904: Bestrebungen für die Armbanduhr gehen mit der Entwicklung der Taschenuhr Hand in Hand. Die technischen Möglichkeiten, immer kleinere Uhrwerke zu realisieren, führt bereits im 17. Jh. zu Stilblüten wie Uhren als Ring oder als Accessoire am Degen. Die Taschenuhr bleibt lange Zeit das Mittel der Wahl; kleinere Schmuckuhren gelten als weibisch. Als 1904 der Luftfahrtpionier Alberto Santos-Dumont den Uhrmacher Louis Cartier um eine Uhr bittet, die er während des Fliegens unkompliziert ablesen kann, entwickelt dieser das Konzept der Armbanduhr weiter. Die Praktikabilität wird zeitnah auch für das Militär attraktiv und entwickelt sich zum Selbstläufer. Die Marke „Cartier“ ist bis in die Gegenwart ein Begriff.

X: Quarz, die elektrische Magie

Ein winziger Kristall als Resonanzkörper, ummantelt von kleinster Elektrotechnik, mit Eigenschaften, die das daumennagelgroße Gebilde für Präzisionsmesstechnik qualifizieren: Quarz (englisch „Quartz“).

1938: Das deutsche Unternehmen „Rohde & Schwarz“ präsentiert die erste tragbare Quarzuhr, mit einem Gewicht von 38 Kilogramm. Bemerkenswert, aber nichts fürs Handgelenk.

1969: Die erste kommerziell für den Massenmarkt hergestellte Quarz-Armbanduhr erblickt das Licht der Warenwirtschaft. „Astron“ des japanischen Unternehmens „Seiko“ ist der Auftakt des Siegeszuges der Quarzuhr. Das titelgebende Bauteil ist ohne das Studium der Ingenieurswissenschaften unbegreiflich. Was Käufer allerdings verstehen: hohe Genauigkeit und ein Jahr Laufzeit.

XI: VDB-1000

1991: Der japanische Elektronikhersteller Casio wirft sein neustes Digitaluhren-Modell auf den Markt: VDB-1000, mit Touchscreen, Datenspeicher für Telefonnummern & Co., Weltkarte und vielen weiteren Goodies. Die Bedienung ist umständlich. Das Modell setzt sich nicht durch. Wer braucht schon Uhren mit Zusatzfunktionen?

2015: Der US-amerikanische Tech-Riese Apple präsentiert seine „Apple Watch“…

XII: Future o’clock

Erwarten Sie an dieser Stelle bitte keine Abhandlung über die Atomuhr. Genutzt wird die Eigenschaft von Atomen, zwischen zwei Energiezuständen elektromagnetische Wellen zu absorbieren und abzustrahlen. Am Ende dieser wissenschaftlichen Meisterleistung steht ein Zeiterfassungsinstrument, das in tausenden Jahren nur wenige Sekunden falsch geht. Ihr Blind Date wird sich trotzdem verspäten – versprochen. Aber was wird einem künftig die Erdenzeit bringen, wenn die Zukunft in der Erschließung des Weltraums liegt? 2015 gelang einem Forschungsteam der Universität Wien (in Kooperation) die Bestimmung der Halbwertszeit des radioaktiven Eisen-60-Isotops. Diese Forschung könnte die Bestimmung einer astronomischen Universalzeit einläuten – eine Sternzeit sozusagen.

Autor: Robert Gryczke

Quellen: Weltmaschine.de, „Was ist Zeit?“, abgerufen am 25.02.2023; Spektrum.de, „Warum …“ vom 06.09.2002; DLR.de, „Wieso hat …?“, abgerufen am 25.02.2023; YouTube.com, Video „From Sundials to Chrystals …“ vom 26.06.2015; Lignoma.de, „Die Geschichte der Uhr“, abgerufen am 25.02.2023; ScienceDaily.com, „One of world’s …“ vom 14.03.2013; Uhrenkosmos.de, „Geschichte der Uhr II“, abgerufen am 25.02.2023; Spektrum.de „Ktesibios“, abgerufen am 25.02.2023; Kompakt.Medien.de, „Wer hat an …“, abgerufen am 25.02.23; Mono-chrome-Watches.com, „History of …“ vom 23.10.2013; PTB.de, „Wie genau …“, abgerufen am 25.02.2023; Medienportal.univie.ac.at, „Zeitmessung …“ vom 06.02.2015