2. Ausgabe 2023 | Nr. 89

Die Geschichte des Buchs

Vom Geschäftsbuch bis zum Selfpublishing

Gerade streikt die amerikanische Drehbuchgewerkschaft für bessere Konditionen. Eine Forderung: Keine KI im Schreibprozess! ChatGPT könnte Romane, Skripte und Sachbücher in Minuten generieren. An diesem Scheideweg stehend, verharren wir kurz und zeichnen die Entwicklung des Buchs nach – von der ersten Tontafel bis zum eBook.

Vor wenigen Jahren noch hatte die Veröffentlichung eines Buchs etwas Elitäres. Das hat sich zumindest in vielen Zügen verändert. Der Buchmarkt ist seit Jahren stabil und bleibt laut Prognosen bis 2025 bei angenehmen 7,8 Millionen Euro pro Jahr – Schul- und Lehrbücher ausgeklammert. Das Interesse am geschriebenen Wort scheint ungebrochen. In diesem Kontext ein Funfact: Das japanische Wort „Tsundoku“ beschreibt die Angewohnheit Lektüre zu erwerben ohne sie zu lesen.

Prolog: Schreibsti(e)l

Wie sprechen Sie „Stil“ aus, mit „Sch“ oder „S“? Lächeln Sie, wenn jemand es mit „Sch“ ausspricht? Weil es dann klingt wie ein Besenstiel? Unnötig. Das Wort „Stil“ entstammt dem lateinischen Wort „Stilus“ und bedeutete schon in dieser Form „spitzer Gegenstand; Stengel; Griffel zum Schreiben; Stiel“. In der Antike wurde überwiegend auf Wachstafeln geschrieben, beziehungsweise geritzt. Dazu wurde ein spitzer Griffel genutzt. Griffel gab es in verschiedenen Ausführungen. Am Ergebnis waren zumeist auch verschiedene Eigenarten erkennbar, etwa welchen Stilus also welchen Stiel, der Schreibende benutzt hat. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich der Begriff zum Synonym für die vielen verschiedenen Eigenarten und Charakteristika in Literatur, Musik, Architektur und Persönlichkeit weiter. Im übertragenen Sinne hat jemand mit einem eigenen Stil tatsächlich auch einen eigenen Stiel – eine eigene Handschrift.


Kapitel I: Buchhaltung

Die Entstehung von Sprache und der Verschriftlichung eben dieser ist wenig romantisch. Sprache und Schrift hat sich immer dann entwickelt, wenn der Alltag der Bevölkerung es nötig gemacht hat.

Etwa 3000 v. Chr. haben die Bewohner des Zweistromlandes, Mesopotamien (heutiger Irak), das Konzept der „Bewässerung“ gemeistert. Getreide und Oliven sprießen. Handel bietet sich an. Um den Überblick zu behalten, notieren die mesopotamischen Händler ihre Lagerbestände. Die Lagerlisten werden in Tafeln mit weichem Ton geritzt und nummeriert; manche von ihnen sogar gebrannt. Die Keilschrift, die auf diesen Tafeln entsteht, ist neben den ägyptischen Hieroglyphen die älteste bekannte Schrift. Einige der Tafeln werden Jahrtausende später in Naturkundemuseen ausgestellt werden. Parallel dazu hat das ägyptische Reich ein Quasi-Monopol auf den Beschreibstoff der Papyrusrolle. Das Mark der Papyruspflanze wird zerdrückt, in dünnen Bahnen über Kreuz verklebt und in dicken Bahnen aufgerollt.

Kapitel II: Klischees

Wie lange der Holztafeldruck im südostasiatischen Raum bereits bekannt ist, wird man in der Gegenwart nicht mehr erfahren.
Etwa 650 n. Chr. gelangt ein Holztafeldruck eines Dharani-Sutras, eines hinduistisch-buddhistischen Gebetstextes, in die chinesische Stadt Chang’an (heute Xi’an). Die Umstände werden ungeklärt bleiben. Aber dieser Holztafeldruck wird über 1400 Jahre später als ältester Blockdruck/Holztafeldruck aufgeführt werden. Auf Holztafeln, auch „Holzklischees“, werden Schrift und Bilder geschnitzt. Diese werden auf feuchtes Papier gepresst. Bedruckt werden kann das Papier, hergestellt etwa aus der Hanfpflanze, nur einseitig. Gedruckt werden unter anderem buddhistische Gebete. Zum Endes des Jahrtausends verbreitet sich der Holztafeldruck als Technik auch im restlichen eurasischen Raum.

Kapitel III: Pressemitteilung

1377: In Korea erscheint die Gelehrtensammlung „Jikji“. Das Buch wurde aufwendig in einer Buchpresse mit Bronzelettern gedruckt. Keine tausend Jahre später wird die UNESCO das Werk offiziell als „Das älteste Buch, das mit Bronzelettern gedruckt wurde“ anerkennen. Die Technik ist im südostasiatischen Raum ganz und gar nicht neu. Es gibt schlichtweg kaum Interesse oder Bedarf.

1440: Nach einigem Experimentieren, stellt der Goldschmied Johannes Gensfleisch zum Hofe Gutenberg, aka Johannes Gutenberg, sein Drucksystem mit beweglichen Metalllettern vor, die Buchpresse. Ab da konnte Text kostengünstig und schnell reproduziert werden, etwa begehrte Schulbücher, natürlich beliebte Belletristik wie die Bibel und konsekutiv dazu tausende Ablassbriefe. Er ist indirekt auch die Initialzündung für den Buchhandel. Anfangs im Eigenvertrieb, sind kaum 40 Jahre nach Gutenbergs Durchbruch fliegende Buchhändler auf Messen unterwegs, auf denen sich vor allem die Oberschicht über neue Literatur freut. Frankfurt am Main gilt bereits zu dieser Zeit als wichtige Literaturstadt.

Kapitel IV: Lesesucht

Die Jahrhunderte zwischen der Erfindung der Buchpresse und der Neuzeit sind spannend; so spannend, dass an dieser Stelle kein Platz für die ganzen nervenaufreibenden Details ist. Das Interesse an gedruckter Literatur wächst überproportional. Flugblätter sind ein Thema; der Dreißigjährige Krieg wirft den Buchdruck etwas zurück, lange und mehrfarbig gedruckte Buchtitel scheinen zu begeistern. Außerdem erleben die Zeitung und die Zeitschrift die Geburt als neue Publikationsform.
Im 18. Jahrhundert erfährt der Roman als Kunstform – auch im Buchdruck – langsam Aufwind. Der Begriff „Lesesucht“ ist Treibstoff für die (nie endende) Debatte um Medienkonsum; in diesem Fall Schundliteratur, die neben erfreulich einfallsloser Trivialliteratur auch Abenteuer- und Erotikgeschichten zu bieten hatte.

Kapitel V: Pressegeschichten

1902 wird die „Berliner Illustrierte Zeitung“ gedruckt. Das allein ist nichts Besonderes. Aber das „Wie“ ist es. Die Wochenzeitung wird auf einer neuen Version der „Rotationsmaschine“ gedruckt, die Text und Bild gleichzeitig drucken kann. Die Technik stammt maßgeblich vom amerikanischen Erfinder William Bullock, der damit die Drucker-, Zylinder- und Tiegeldruckpresse weiterentwickelt hat. Zwei Zylinderwalzen bedrucken gigantische Papierbahnen. Effizient.

Kapitel VI: Projekt Gutenberg

1971 beginnt der damalige Student und spätere Schriftsteller Michael S. Hart damit, Literatur abzutippen – konkreter die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die er im digitalen Netzwerk seiner Universität verbreitete – und frei zugänglich zu machen. Der Startschuss für das „Project Gutenberg“.
1992 veröffentlicht Sony den „Data Discman“, der optisch an einen Gameboy mit Tastatur erinnert. Nutzer können etwa Romane auf ihm lesen und Enzyklopädien durchsuchen, sofern sie auf CD gespeichert sind. Ein Jahr später veröffentlicht Entwickler Paul Baim eine Freeware namens „EBook“, die es dem Nutzer erlaubt, jede Art Textdokument als „umblätterbares“ elektronisches Buch am heimischen PC zu lesen. Die Software „merkt“ sich, wo der Nutzer aufhört.

Kapitel VII: eBook

2004 erscheint mit dem Sony Librie zwar nicht der erste E-Reader auf dem Markt, aber der erste mit einem E-Ink-Display. Diese Technologie funktioniert über Mikro-Kügelchen. Je nach elektrischer Ladung ordnen sie sich unter dem Display an und verbrauchen nur Strom, wenn sie sich neu anordnen – etwa, wenn das elektronische Buch „umblättert“.
In der Gegenwart werden ganze Bücherregale ausgeräumt, weil ein neuer E-Book-Reader angeschafft wurde. Was wenige Nutzer bedenken: Moderne E-Books sind quasi jederzeit manipulierbar. Das hat Vorteile, weil etwa verlagsseitig Tipp- oder andere Fehler korrigiert werden können. Allerdings können so nachträglich auch alle anderen Aspekte eines Werkes angefasst werden – oder der Zugang zum Buch selbst eingeschränkt werden, etwa wenn es zwischen Autor und Verlag zu Ungereimtheiten kommt.
Durch die Niederschwelligkeit des Selfpublishing – im Prinzip kann jeder unkompliziert ein E-Book publizieren – besteht auch die Gefahr von Betrug. Zusammenkopierte Texte und Bilder, die für 99 Cent vertrieben werden, fallen kaum auf, verletzen aber Copyrights und schaffen ein Überangebot, in dem die echten Perlen womöglich untergehen.

Auch ein schöner Buchrücken kann entzücken.

Autor: Robert Gryczke

Welt.de, „Buchdruck …“ vom 02.09.2010; Libreas.eu, „Ein kurze …“, abgerufen am 28.05.2023; DE.Statista.com, abgerufen am 28.05.2023; DWDS.de, „Stil“, abgerufen am 28.05.2023; AlteRoemer.de, „Antike …“ vom 15.03.2016; Wortwandel.de, „Eine ganz …“, abgerufen am 28.05.2023; Nat.Museum-Digital.de, „Mesopotamische Tontafel …“, abgerufen am 28.05.2023; PDF: EDOC.HU-Berlin.de, abgerufen am 28.05.2023; Geschaeftsdruck.CEWE.de, „Buchdruck …“, abgerufen am 28.05.2023; ARDAlpha.de, „Der …“, vom 09.01.2023; TakeValue.de, „Geschichte…“, abgerufen am 28.05.2023