
57. Ausgabe, 2. Quartal 2015
Fürsorglich wie die Mama
Ich liebe Europa! Ich bin grenzenlos glücklich, wenn es in den Urlaub geht. Vor, in und nach meinem Tagewerk bin ich heilfroh, dass sich die EU um alles kümmert. Ist doch großartig, dass Brüssel mit Rücksicht auf meine Augen die Glühbirne beerdigt hat. Sehr fürsorglich ist auch, wie die EU-Weisen dafür sorgen, dass meine Urenkel noch ein paar Kilowattstunden verbrauchen dürfen. Schließlich sorgen sie dafür, dass ich keine leistungsstarken Staubsauger mehr kaufen kann und so weniger Strom verbrauche. Meine geliebte Europaregierung hält ihre schützende Hand über die Gesundheit meiner Familie, der ich nur gut aussehendes Obst und Gemüse servieren darf. Jede zweite Kartoffel landet schon beim Bauern im Müll, weil sie zu klein oder zu groß, zu dick oder zu dünn, auf jeden Fall außerhalb der Vermarktungsnorm, ist. Dem europäischen Apfel schenkt die Union 18 Seiten einer Verordnung: Ohne Mindestgröße von 6 cm Durchmesser und Mindestgewicht von 90 Gramm geht schon mal gar nichts. Auch die Banane hat es schwer, bis in meinen Mund zu gelangen: Sie muss nicht nur gelb, sondern mindestens 27 mm dick und 14 cm lang sein. Die Erdbeere braucht einen Querdurchmesser von Minimum 18 mm. Zu dumm, dass es die Gurken-Krümmungsnorm nicht mehr gibt.

Dafür kümmert sich Brüssel
rührend um meine Leber und damit um die Frage, wieviel Salz im Brot sein darf. Nämlich 1 Gramm auf 100 Gramm Mehl. Ansonsten ist das Brot nämlich kein vorteilhaftes Lebensmittel mehr, sondern fällt in die Kategorie von Coca Cola oder Chips. Besonders nett finde ich Junckers Bemühen um meine Familienplanung: Meine EU-Behörde hat festgelegt, dass in einem Kondom fünf Liter Flüssigkeit Platz finden müssen. Wenn trotzdem noch ein Schuss danebengeht, muss ich mir ums Baby keine Sorgen machen: Über 10 Jahre haben 30 Experten für 52 eng bedruckte Seiten mit acht Kapiteln und 40 Unterpunkten (DIN EN 12586) gebraucht. Am Ende stand die EU-Schnullerkettenverordnung, die alle Kinder vor Schlimmem bewahrt und festlegt: Die Kette darf höchstens 22 cm lang sein.
Mir reicht das nicht!
Ich fordere noch mehr Vorschriften, Gesetze und Verordnungen aus Brüssel. Die EU muss schleunigst das Schlafen regulieren. Danach das Zähneputzen, gefolgt vom Fußnägelschneiden. Alles Sachen, die bis heute unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Das darf doch nicht sein! Denn nur, wenn Familien die Zeiten fürs Schlafen, Zähneputzen und Fußnägel schneiden ihrer Kinder haarklein dokumentieren, lässt sich die Schieflage im sozialen Gefälle noch geradebiegen. Sozusagen in letzter Minute. Zum Glück plant die EU ja schon einmal, dass Brauereien Kalorien zählen und Warnetiketten auf Bierflaschen und -gläser kleben müssen, mit denen auf die Gefahren des Alkohols hingewiesen wird. Großartig! Niemand käme von allein auf die Idee, dass im Bier Alkohol ist. Damit kann ja nun wirklich niemand rechnen.
Autor: Jens-Uwe Jahns