68. Ausgabe, 1. Quartal 2018

Medizin von morgen

Guten Morgen, Frau Jahns, wie geht es Ihrem Herzen? – Erstens komme ich wegen meines  Beins, und zweitens bin ich nicht Frau, sondern Herr Jahns.

An Dialoge dieser Art bin ich bei meiner Hausärztin schon gewöhnt. Ist wahrscheinlich meine Schuld. Ich bin einfach zu selten bei ihr. Die betagte Dame mit dem angelaufenen Stethoskop um den faltenreichen Hals erkennt mich nicht. Jedenfalls nicht immer. Und schon gar nicht auf den ersten Blick.

Tja, wenn sie etwas jünger und unser Gesundheitssystem etwas flexibler wäre, dann hätte ich ihr vielleicht die moderne Technik empfohlen. Hand aufs Herz: Wir stehen doch nah am Schlaganfall, was die Vielzahl der ausgelassenen Möglichkeiten betrifft. In digitaler Hinsicht hinkt die medizinische Versorgung meilenweit hinterher. Haben Sie sich noch nie gefragt, warum beim Smartphone die automatische Gesichtserkennung zum Standard gehört, jeder Doktor aber erst sein Spezialgebiet in Ihrem Körper durchröntgt? Dabei ist es technisch kein Problem, den implantierten Herzschrittmacher nebenbei zum kabellosen Laden eines iPhones 9 zu nutzen. Und warum macht das keiner? Wahrscheinlich aus Angst davor, dass KGB oder NSA aus der Ferne die Kontrolle des Defilibrators  übernehmen und beim Ladevorgang Personendaten aus dem Handy herauslesen, um den Instagram-Account für Propaganda zu nutzen.

Dabei wäre es so einfach. Ich habe mir extra für meine betagte Hausärztin ein „Wearable“ gekauft, was Ihnen vielleicht als Fitness-Armband was sagt. Ich bin voll dafür, dass meine halbtote Göttin in Weiß die Daten einsehen kann. Das ist für mich etwas ganz anderes als dieses Smart Home, wo alles miteinander vernetzt ist, was dienstbar sein soll. Nein, nein: Ich will nicht, dass meine Mikrowelle ein Verhältnis mit meinem Kühlschrank hat und mein Milch-Shaker deshalb durchdreht. Aber ich möchte, dass Frau Doktor bei mir den vollen Durchblick hat. Da kommt der jährlichen Verdopplung meiner Körperdaten dank der Fitness-Armbänder doch eine ganz neue Bedeutung zu. Aber nicht mal ein schlappes Prozent davon wird überhaupt genutzt. Mit intelligenten Algorithmen könnte mein etwas dementes Frau Doktorchen zur besten Medizinerin des Viertels aufsteigen. Wäre doch schön, wenn sie wüsste, dass ich als ihr Patient in vier Tagen Husten bekomme, und sie mir frühzeitig etwas dagegen verschreibt.

Liegt gerade kein Husten an, dann bringen die Armband-Daten immer noch einen hübschen Zeitgewinn. Komme ich als Patient in die Praxis, sind meine digitalen Gesundheitsdaten ja schon da. Dann fallen von den zwei Minuten, die Frau Doktor im Schnitt für jeden Patienten Zeit hat, die eineinhalb Minuten um mich zu vermessen weg. Bleiben künftig irre zwei Minuten für die Beratung.

Und erst die Abrechnung. Frau Doktor wird nie mehr beschuppen können. Im Gegenteil: Sind die Patientendaten erst einmal komplett durchdigitalisiert, hat sich die Abrechnung der Appendektomie eines in Wirklichkeit gar nicht mehr vorhandenen Wurmfortsatzes als „Leistung in Abwesenheit“ erledigt.

Autor: juj