67. Ausgabe, 4. Quartal 2017

Weihnachten digital

Weihnachten ist auch nicht mehr das, was es mal war. Seit der Pontifex lieber twittert statt predigt, ist es vorbei mit der heilen Welt unter der Tanne. Nix  knistert mehr – weder im Kamin noch auf‘m Plattenspieler. Es gibt ja nicht mal mehr echte Kerzen an der Fichte. Damit nichts mehr anbrennt flackern nur noch LEDs im Takt.

Selig die Zeiten, als Oma den Adventskalender aus alten Socken häkelte und mit Plätzchen füllte. Das Kind von heute will lieber den Milka Digitalen Adventskalender, der „Naschen, Scannen, Entdecken“ verspricht und mit dem „die Weihnachtszeit gleich doppelt spannend wird“.

Spannend war früher anders. Zum Beispiel die Suche nach den Weihnachtsmärkten der Region in der Zeitung. Heute googlen wir „Weihnachtsmarktsuche 2017“ und haben schwuppsdiwupps 100 auf dem Display. Mehr oder weniger schön. Echte Rotwämse siehst du da aber auch selten. Stattdessen gibt‘s „Talking Santa“ im App Store, der ohne Murren wiederholt, was wir von ihm hören wollen. Der verrät uns sogar, ob wir artig genug für Geschenke waren.

Wer braucht da noch Weihnachtspostkarten im Briefkasten? Grüße kommen per E-Mail, WhatsApp oder Facebook ins Haus. Selbst Heiligabend auf den letzten Drücker. Die Klaue von Tante Frieda konnte eh keiner lesen.

Und erst die Geschenke. Wer hat schon noch eine Großmutter, die einen Schal fürs Enkelchen oder ein Deckchen für die Schwiegertochter häkelt? Oder einen Papa, der fürs Töchterchen das Puppenhaus im Keller baut? Unsereiner ist doch schon zu faul, in ein richtiges Geschäft mit echten Menschen zu gehen. Stattdessen schnuppern wir uns bei Amazon und eBay die Finger wund. Statt anfassen, anprobieren und angucken heißt es Diddel Daddel Doo. Kein Witz: 82 Prozent der Deutschen recherchieren online, bevor sie Weihnachtsgeschenke kaufen, und 48 Prozent bestellen gleich im Internet. So landen Smartphones, Tablets, Fitness-Tracker, Drohnen, Robbis und E-Books auf dem Gabentisch.

Und ist die stille Nacht gekommen, wird der Tisch mit Digitaldruck-Dekostoff gedeckt, drauf flackern ferngesteuerte Teelichter, die Hausfassade wird vom digitalen Star-Shower angestrahlt und wer auf die Fußmatte tritt, bekommt „Jingle Bells“ um die Ohren. Im Dekokranz an der Tür tanzt ein Solar-Schneemann, die Klingel macht nicht mehr „Ding Dong“, sondern „Kling Glöckchen“ und den Wunschzettel schickt das verwöhnte Enkelchen per Sprachnachricht nach Himmelpfort.

Über die Festtage macht auch kaum noch einer den Fernseher an, denn auf Netflix kommen eh die cooleren Weihnachtsfilme. Das Kaminfeuer wird aus dem Internet auf das iPad gestreamt, die Musik macht man nicht mehr selbst, sondern überträgt sie via Bluetouth auf die Mobilbox.  „Jingle Bells“, „Oh Holy Night“ oder „White Christmas“ sind uncool. Krass Weihnachten ist, wenn Electro-Pop von Kery Fay, A-cappella-Musik von mundial und The Ukeboys durch die Lüfte schwirren.

Das Einzige, was mich als beunruhigter Weihnachtself beruhigt, ist die Tatsache, dass der Weihnachtsbraten noch analog ist. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie ich mir so eine duftende ganze Gans mit einer 3D-Brille von allen Seiten betrachte und sie mit der Familie virtuell verspeise. Schmeckt man da eigentlich noch was?

Autor: juj