1. Ausgabe 2023 | Nr. 88

Homo Digitalis verbrennt

Energie und Krisen

Während eine Seite den zivilen Ungehorsam probt, wird an anderer Stelle die Zukunft erforscht. Welche Formen der Energiegewinnung und -erzeugung überdenkt und entwickelt der Mensch, um seine Maschinen künftig am Laufen zu halten? Wasserkraft oder Wasserstoff? Kalte Fusion oder heiße Dächer? Windrad oder Hamsterrad?

„Die Macht der Sonne, diese Macht in meiner Hand.“
Dr. Otto Octavius, „Spider-Man 2“, Film, 2004

Definition: Was ist eine Energiekrise?

Warum selbst interpretieren, wenn das renommierte Wirtschaftslexikon doch eine unverkrampfte Definition anbietet? Und los:
„... Versorgungsengpass im wesentlichen der energieintensiv produzierenden bzw. energieträgerarmen Staaten. Mit der Energiekrise wird vorwiegend die Ölkrise assoziiert. [...] Konsequenz von Energiekrisen ist u. a. die erhöhte Relevanz alternativer Energiegewinnungsformen/-technologien […] In der sozialistischen Wirtschaftslehre: Einerseits entsteht durch die Begrenztheit der Bestandsressourcen an fossilen Brennstoffen die Strukturkrise in der Energiewirtschaft, anderseits entsteht durch die Verbrennung von Kohlenstoffverbindungen der „Treibhauseffekt“ und weitere Umweltbelastungen […] Dazu kommt noch die Tendenz zur Verteuerung der Ausbeutung von Lagerstätten für fossile Brennstoffe und die Abhängigkeit von den Erdölproduzierenden Länder (Ölkrise 1973). Durch diese Krise hat sich der Bereich alternativer Energieträger (z. B. Sonnenenergie. Erdwärme und Wind) zu einem wachsenden Industriezweig entwickelt.“ Das gab es übrigens in der Menschheitsgeschichte schon immer wenn endliche Rohstoffe knapp wurden. Im 16. Jh. fror Bologna, weil der Region das Brennholz ausgegangen war.

 

Definition: Was sind erneuerbare Energien?

Dazu schreibt das Umweltbundesamt Folgendes: „Erneuerbare Energien sind Wind- und Sonnenenergie, Biomasse, Geothermie und Wasserkraft.“
Huch, was hören wir da? „Ja, Du Systemling UND KERNKRAFT LASST IHR WEG! LÜGENPRESSE!“ Zunächst, vielen Dank für das Interesse an diesem Kundenmagazin. Und: Qua Definition ist „Kernenergie“ kein fossiler Rohstoff, aber ein endlicher. Plutonium und Uran wachsen nicht auf oder unter Bäumen. Zum Glück.

Kernkraft I: Strahlemann & Söhne

1961 speiste das erste Mal ein Kernreaktor Strom in das deutsche Versorgungsnetz.
1986: Tschernobyl
2011: Fukushima
2022 verlängert Deutschland die Laufzeiten seiner letzten aktiven Atomkraftwerke bis einschließlich 15. April 2023. Grund ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit verbundenen Abwägungen bzgl. der Energieversorgung.
Wenn wir mal Scheuklappen aufsetzen würden: Wie zukunftsfähig ist Kernkraft? Nun, das aktuell erreichbare Rohmaterial würde ausreichen, um alle AKWs der Erde insgesamt für etwa ein Jahrhundert anzutreiben. Der Atommüll bleibt deutlich länger ein Problem. Ausschließlich für diese Art Müll unterhält Deutschland das „Bundesamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung“ (BASE). Auf einer eigens zum Thema „Entsorgung“ aufgesetzten Website informiert das BASE auch über verworfene Ansätze, die in ihrer simplen Denke zu charmant sind, als sie hier nicht abzubilden:
• In den Weltraum: Mengenbedingt unwirtschaftlich. Und sollte eine Rakete mit Atommüll in der Erdatmosphäre verunglücken – gute Nacht Magdeburg.
• Ins Erdinnere: Technisch schlicht derzeit nicht lösbar. Eine falsche Plattenverschiebung, ein Vulkanausbruch und (siehe oben).
• Ins ewige Eis: Welches ewige Eis?
• Ins Ausland: Alles hinter Marienborn ist tabu!

Kernkraft II: Fusionsenergie

Herkömmliche AKWs liefern Energie aus Kernspaltung. Kernfusion geht den anderen Weg und nutzt die Energie, die entsteht, wenn man zwei Atome fusioniert – hier angedacht mit Deuterium und Tritium, die zu einem Heliumkern verschmolzen werden. In der Sonne passiert übrigens das Gleiche. Ein Fusionskraftwerk ist keine regenerative Energiequelle, könnte aber so viele Jahrtausende Energie liefern, dass die Menschheit bis dahin sicherlich sowieso die nächste Daseinsebene erreicht hätte. Langlebige radioaktive Abfälle gäbe es keine. Auch die Gefahr einer Kernschmelze oder dergleichen entfiele. Und? Wo ist sie? Im Februar 2023 vermeldete das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik: „Wendelstein 7-X erreicht Meilenstein: Leistungsplasma mit Gigajoule-Energieumsatz über acht Minuten erzeugt“.
Die erstaunliche Anlage hatte 1,3 Gigajoule erzeugt, umgerechnet 277 Kilowattstunden. Ein deutscher Zwei-Personen-Haushalt verbraucht im Monat durchschnittlich etwa 200 Kilowattstunden. Stellen wir noch einen Thermomix rein, dann dürfte es aufgehen.
Kernfusion ist definitiv eine Zukunftstechnologie, aber eine für übermorgen.

Kernkraft III: Kalte Fusion

Die „Kalte Fusion“ beschreibt die Kernfusion ohne hohe Temperaturen oder extreme Dichte, die etwa für die oben beschriebene Kernfusion notwendig sind. Eine Revolution in der Energieversorgung. Kurz: Nein.

Erneuerbare Energie: Das Beste aus Wasser, Wind und Sonne

Ihr Nachbar hat jetzt ein Solarmodul am Balkon. Das wissen Sie, weil er beim Angrillen jedem einen Vortrag über regenerative Energien und Klimaschutz hält, während er das 99-Cent-Hack über der Grillkohle verunglücken lässt.
Ende 2021 lag der Anteil der erneuerbaren Energien (Solar, Wasser, Wind, Biomasse) in der gesamtdeutschen Nutzung bei rund 42 Prozent. Ziel: 80 Prozent bis 2030, klimaneutral bis 2045. Bis dahin dürfte Bayern auch ein eigenes Weißwurstkraftwerk beigesteuert haben, um die Querelen in puncto Windenergie zu kompensieren. Wir müssen an dieser Stelle nicht verhandeln, ob erneuerbare Energien unseren Bedarf decken könn(t)en; ja, könn(t)en sie. Die Herausforderungen der erneuerbaren Energien liegen woanders. Wind und Sonne sind nur bedingt planbar und mit ihnen die Stromerzeugung. Auf die dezentrale Einspeisung und Erzeugung ist das deutsche Stromnetz kaum vorbereitet. Derzeit schalten Windkraftanlagen gerne mal ab, wenn sie am produktivsten sind (Redakteure kennen dieses Phänomen), weil das Stromnetz mit den eingehenden Leistungsspitzen nicht umgehen kann. Das Problem besteht also nicht in der Erzeugung, sondern in der …

... Speichertechnologie: Not und Lösungen

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) macht keinen Hehl aus den Herausforderungen der Energiewende. Schlüsselwort: Stromspeicher. Wohin mit dem Überschuss, bis er gebraucht wird. Und wie den Bedarf decken, wenn Flaute herrscht? Nun: Dürfen wir mit Ihnen kurz über „Pumpspeicherkraftwerke“ reden? Damit gewinnen Sie nicht nur beim Scrabble. Es ist derzeit laut BMWK die einzig nennenswerte Speichertechnologie. Das Konzept ist einfach: Man nutzt den überschüssigen Strom, um Pumpen anzutreiben, die ihrerseits Wasser nach oben transportieren. Wird Strom dann wirklich gebraucht, nutzt man Wasserkraftturbinen. Ein weiterer (Um)Weg sind „Power-to-Gas“-Anlagen, in denen Wasser mithilfe von Strom zu Wasserstoff und Methan umgewandelt wird, das dann wiederum ins Erdgasnetz eingespeist werden kann. Zitat BMWK: „Die Technologie ist derzeit noch teuer und die Wirkungsgrade sind gering.“ Erfrischend zuversichtlich. Hoffnung ist womöglich in Sicht. In Berlin hat die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) Ende 2021 ein neues Batterietestzentrum in Betrieb genommen. Dort werden auch die Möglichkeiten neuartiger „Natrium-Ionen-Batterien“ erprobt, die einerseits höhere Ladekapazitäten erlauben, andererseits ohne Bestandteile wie Lithium, Kobalt oder Kupfer auskommen.

Cool down: ein Fazit

Die Energiewende ist in vollem Gange. In der westlichen Welt können wir uns über zu wenig Energie eigentlich nicht beschweren. Die Natur stellt uns genug zur Verfügung. Wir müssen nur noch lernen, sie vorzuhalten. Aber auch daran wird gearbeitet. Futuristische Technologien wie Kernfusion rücken näher, sind aber zum Greifen noch zu fern. Sie möchten an dieser Stelle nicht den mahnenden Zeigefinger und das Wort „Verzicht“ lesen, richtig? Aber schauen Sie sich doch kurz um: Läuft gerade der Plasmafernseher als bebildertes Radio? Powert die Heizung die Wohnung gerade auf 40°C hoch? Unser Tipp: Ein kräftiges Chili am Abend, Heizung runter und dann mal der Power-to-Gas-Ansatz.
Und jetzt: Licht aus!

Autor: Robert Gryczke

Quellen: Wirtschaftslexikon.de, „Energiekrise“, abgerufen am 26.02.2023; Umweltbundesamt.de, „Erneuerbare Energien“, abgerufen am 26.02.23; Futura-Sciences.de, „Ist Kernenergie …“ vom 16.02.2022; Buch „Ketzer, Künstler und Dämonen“, Bernd Roeck, Chemie.de, „Kernfusionsreaktor“, abgerufen am 26.02.2023; Base.Bund.de, „Der Atomausstieg …“, abgerufen am 26.02.2023; Endlagersuche-Infoplattform.de, abgerufen am 26.02.2023; Deutschlandfunk.de, „Kernfusion …“ vom 07.07.2020; Kesselheld.de, „Dezentrale …“, abgerufen am 26.02.2023; FAZ.net, „Die Herausforderungen …“ vom 09.08.2021; BMWK.de, „Speicher ...“, abgerufen am 26.02.2023; Ingenieur.de, „Berliner Batterietestzentrum …“ vom 13.07.2021