
75. Ausgabe, 4. Quartal 2019
Digitale Verwaltung als Standortfaktor
Estland machts vor
„Digitale Verwaltungsangebote für die Wirtschaft sind hierzulande noch Mangelware“, schreibt der NKR im Monitor. Das kann die deutsche Wirtschaft über kurz oder lang beeinflussen. Und zwar negativ.
Wie?
Ein Beispiel, mit Blick nach Estland. Dort ist es dank E-Residency (engl. „elektronischer Wohnsitz“) möglich, von praktisch überall auf der Welt einen digitalen Wohnsitz in Estland anzumelden. Heißt, dass man auch auf die zahlreichen elektronischen Behördenleistungen zugreifen kann; unter anderem die Firmengründung. Innerhalb eines Tages kann per E-Residency ein Unternehmen mit Sitz in Estland eröffnet werden. Laut Monitor haben bereits 750 Deutsche auf diese Weise ein Unternehmen in Estland gegründet.
Glaubt man dazu dem animierten Infofilm auf der E-Residency-Website, richtet sich dieses Angebot vor allem an Unternehmer mit digitalen Wurzeln, E-Commerce beispielsweise. Ob die Möglichkeit für den deutschen Tischler attraktiv ist, sei einmal dahingestellt. Aber vielleicht geht es dabei auch ein bisschen um die Signalwirkung. Sicherlich stärkt Estland damit sein Image: zukunftsweisender technoider Staat mit Innovationscharakter. Und in Estland angemeldete Unternehmen bezahlen selbstredend auch in Estland Steuern. Auch wenn die Unternehmensführung in Deutschland sitzt.
Hier hingegen scheinen Politik und Wirtschaft oft aneinander vorbeizudiskutieren. Während die Wirtschaftsverbände ein Unternehmenskonto mit vereinfachten Online-Möglichkeiten fordern, hört der Staat nur „Unternehmenskonto“ und strebt eine Spiegelung des Bürgerzugangs an, der im Rahmen des OZG bis Ende 2022 entstehen soll.
(Homepage des Estnischen E-Residency-Programms, abgerufen am 20.11.2019); (Video „What is e-Residency?“, abgerufen am 20.11.2019);
(e-Government, „Was ist [...]“, vom 29.07.2019, abgerufen am 20.11.2019);
(NKR, Monitor Digitale Verwaltung #3, Oktober 2019, abgerufen am 20.11.2019)
Es fehlen Schnittstellen
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister e.V., kurz Vitako, sieht die Probleme weniger in den technischen Kompetenzen und auch nur bedingt in der Infrastruktur, sondern vielmehr in fehlenden Schnittstellen und schreibt dazu in einem Positionspapier: „[...] die Infrastrukturen, Fachverfahren und Komponenten sind da, was fehlt, ist Interoperabilität und Vereinheitlichung der Schnittstellen.“
Diesbezüglich ist auch ein Blick in den Phasenplan föderale kommunale Digitalisierungsarchitektur interessant, gleiches Positionspapier. So wird im Zeitraum zwischen 2019 und 2022 die fristgerechte Umsetzung des OZG forciert, um dann zwischen 2023 und 2025 „schrittweise“ die bestehenden Digitalisierungs-Frameworks zu konsolidieren.
Sprich, um die Fristen einzuhalten, wird erst einmal grob zusammengeflickt. Und wenn das Gesetz abgenickt wird, kann das Flickwerk im Nachrutsch hübsch gemacht werden. Vielleicht ist Estland auf lange Sicht doch keine schlechte Idee.
(Vitako e.V., Positionspapier […], erschienen am 08.10.2019, abgerufen am 20.11.2019)