79. Ausgabe, 4. Quartal 2020

Erdrückende Umarmung oder willkommene Liebkosung?

Abkehr-Versuche von marktbeherrschender Software

Während einerseits die wachsende Abhängigkeit von wenigen Software- und Cloud-Anbietern kritisch beäugt wird, treffen andererseits Open-Source-Alternativen nicht auf ungeteilte Akzeptanz, wie Umstellungsversuche der Stadtverwaltungen Leipzig und München zeigen.

Einer Umfrage zum Thema „Open Source in Kommunen“ zufolge bewerteten 23 Prozent der Befragten in den öffentlichen Verwaltungen die Abhängigkeit von wenigen marktbeherrschenden Software- und Cloud-anbietern als „sehr kritisch“, 35 Prozent bezeichneten sie als „eher kritisch“, 29 Prozent setzten ihr Kreuz bei „teilweise kritisch“. Die KGSt Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement hat die Umfrage mit Unterstützung des Deutschen Städtetages und der Bundesarbeitsgemeinschaft Vitako durchgeführt und ausgewertet. Dabei gehe es nicht nur um Microsoft Office und das Betriebssystem Windows, auch bei Fachverfahren gebe es eine Marktkonzentration und Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern, hieß es.

Eine vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegebene Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC (PricewaterhouseCoopers) kam bei der Befragung in Bundesbehörden zu einem ähnlichen Ergebnis. Es wurde eine starke Abhängigkeit von wenigen Anbietern, insbesondere Microsoft, festgestellt. Viele Mitarbeiter sahen die digitale Souveränität des Staates in Gefahr, schätzten die Kosten als „unkontrollierbar“ ein und bemängelten es, in der „Flexibilität eingeschränkt“ sowie bei der Innovation „fremdgesteuert“ zu sein.

Mit einem Portal für die Sammlung und den Tausch von Open Source Software (OSS) für die öffentliche Verwaltung wollen die Bundesarbeitsgemeinschaft Kommunaler IT-Dienstleister Vitako und die Open Source Business Alliance OSBA ein Gegengewicht setzen und Alternativen bieten.

Auf dem „Zukunftskongress-digital“ wurde dafür das Startsignal gegeben. Das Tauschportal soll die Kooperation der Institutionen bei der Entwicklung und Pflege von Software vertiefen, parallele Entwicklungsarbeit an ähnlichen Projekten vermeiden und damit Aufwand und Kosten sparen, so umriss Peter Kühne, Lecos-Geschäftsführer und Vitako-Vorstandsvorsitzender, das gemeinsame Ziel. Insgesamt soll damit ein höherer Grad digitaler Souveränität erreicht werden.
Unabhängigkeit von Monopolisten, Interoperabilität und Standardkonformität sowie Kosteneinsparungen bei Softwarelizenzen sind Gründe für den Umstieg auf Open Source. Der Quellcode kann von jedermann eingesehen, auf Fehler geprüft, korrigiert und weiterentwickelt werden. Backdoors und andere Einfallstore, die für die politische oder wirtschaftliche Spionage genutzt werden könnten, werden so schneller erkannt, heißt es bei Wikipedia. Oft würden jedoch die finanzielle Komplexität und der Aufwand einer Software-Umstellung unterschätzt. Lizenzkosten machten nur einen Teil der IT-Kosten aus. Der Aufwand für Anpassungen oder notwendige Neuerstellungen von Fachanwendungen müsse berücksichtigt werden.

Umstellungsversuche in Leipzig und München bestätigen das. „Der Migrationsaufwand ist hoch und es dauert mehrere Jahre, um ihn zu kompensieren“, sagte Sebastian Rauer, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Lecos. „Mit der Stadt Leipzig hatten wir von 2012 bis 2015 ein Projekt, in dem wir von Microsoft Office zunächst auf OpenOffice und dann später auf LibreOffice gewechselt sind“, so Rauer. Das Betriebssystem Windows wurde beibehalten. „Die Stadtverwaltung konnte zwar Lizenzkosten sparen, doch stattdessen fielen höhere Kosten für Support und individuelle Anpassungen oder für spezielle Formatvorlagen an oder weil Schnittstellen zu den Fachverfahren neu geschaffen werden mussten. Der Datenaustausch mit Externen, die in der übergroßen Mehrheit auf der Basis von Microsoft Office arbeiteten, war erschwert, und vielen Mitarbeitern reichte OpenOffice oder LibreOffice insbesondere für komplexe Tabellenkalkulationen oder Power-Point-Präsentationen nicht aus.“

Aufgrund des insgesamt geringen Bedarfs stellten Software-Hersteller zu wenige Produkte auf Open-Source-Basis für die Fachverfahren der Verwaltung bereit. Und so wurde die Umstellung in Leipzig ab 2017 wieder zurückgedreht. Heute arbeitet die Verwaltung der Messestadt wieder auf Microsoft-Basis, mit Microsoft Office sowie aktuell mit Lotus Notes / Microsoft Exchange für E-Mail. Und dabei soll es bleiben.

Anders ist es in München. Bayerns Metropole praktiziert die doppelte Kehrtwende. So hatte sich die Stadtverwaltung zunächst Open Source zugewendet und die LiMux (Linux München) IT-Evolution gestartet. 15.000 Arbeitsplatzrechner wurden entsprechend ausgerüstet und die Umstellung Ende 2013 abgeschlossen. Laut Wikipedia wurden 11 Millionen Euro Kosten eingespart und mehr Freiheit in der Softwareauswahl gewonnen. Doch Ende 2017 beschloss der Stadtrat mit den Stimmen der großen Koalition das Ende des Projekts und eine Umstellung aller PCs auf Windows.

Der Standard (Tageszeitung, Medienverlag mit Sitz in Wien) schreibt in seinem online-Portal: „Der Schritt stieß auch auf viel Kritik und Zweifel, zumal Microsoft sein Deutschland-Hauptquartier in auffälliger zeitlicher Nähe in die bayerische Landeshauptstadt verlegte.“ Und nun kommt, noch während die Umstellung auf Windows 10 läuft, die Abkehr von der Abkehr, berichtet heise online. Der Blogger Günter Born spricht von Real-Satire 4.0 und vom Münchener Intrigantenstadl.

Denn seit März 2020 herrscht Rot-Grün und in der Koalitionsvereinbarung ist festgelegt: „Wo immer technisch und finanziell möglich, setzt die Stadt auf offene Standards und freie Open-Source-lizenzierte Software und vermeidet damit absehbare Herstellerabhängigkeiten.“ Es gelte grundsätzlich das Prinzip „Public Money, Public Code“. Bleibt abzuwarten, ob die Strategie dieses Mal länger als bis zu den nächsten Kommunalwahlen hält.

Aber auch diejenigen, aus deren Umklammerung man sich mit Hilfe von OSS befreien möchte, nutzen gern das Potenzial von Open Source, beteiligen sich an der Weiterentwicklung und stellen Quellcodes bereit. So heißt es auf www.news.microsoft.com: „Open Source ist elementar für Windows 10“ und es ist „für uns mittlerweile ein bekanntes Vorgehen, Komponenten von der Windows-Plattform zu lösen und diese als Open-Source-Projekt verfügbar zu machen.“  Die Basis des neuen Browsers Microsoft Edge sei die Open-Source-Engine Chromium und „wir arbeiten fleißig an der Weiterentwicklung mit. So profitieren wir mit Microsoft Edge von der Arbeit anderer, aber auch alternative Browser können unseren Input für sich nutzen.“ So habe Microsoft mehr als 3000 Verbesserungen eingebracht, um das Surfen im Web nutzerfreundlicher zu machen und die Performance zu verbessern.

Gleichzeitig verdrängt Microsoft an anderer Stelle Open-Source-Programme. So wird unter dem Betriebssystem Windows 10 S nur von Microsoft eigens geprüfte Software zugelassen, nur Apps aus dem eigenen Store können heruntergeladen, nur eigene Programme installiert werden. Edge durch Firefox zu ersetzen, sich für Open Office statt für Microsoft Office 365 zu entscheiden, den CCleaner oder Eraser zu nutzen, um den Rechner von Datenmüll zu säubern, ist nicht möglich. So bestehe keine Gefahr durch Viren fremder Software, argumentiert Microsoft. Auch alternative E-Mail-Anbieter können nicht importiert werden und es kann problematisch sein, einen Druckertreiber zu installieren.

Autor: bek