78. Ausgabe, 3. Quartal 2020

Homo Digitalis und sein Blaulicht

Die Polizei. Man mag sie oder man hasst sie; glorifiziert sie als Helden-inkubator oder skizziert sie als ewiggestrige Exekutive mit Schlagstocktourette. Gibt es ein dazwischen? Und mit welchen Methoden wird sie in Zukunft Recht und Ordnung durchsetzen? Eine Ermittlung über Ermittlung.

Wer erwartet, im vorliegenden Text einen moralischen Kompass zu finden, – „Darf ich die Polizei jetzt gut finden, oder nicht?“ – wird enttäuscht werden. So nüchtern wie möglich soll geklärt werden, welche Aufgaben die Polizei hat, warum Social Media nur bedingt dazu gehört und wie elektronische Polizeiarbeit künftig aussieht.

„Das Internet ist für uns alle Neuland.“

Angela Merkel, Bundeskanzlerin, 2013

Tatort Neuland – Part I:
Die Polizei – kein Freund, nur Helfer

Die Gewaltenteilung in Deutschland ist bekannt: „Hart aber fair“ mit Plasberg, im Osten heißt es „Broiler“ und am Sonntag läuft „Tatort“. Alles nur satirische Deutschtümelei? Mitnichten. In Plasbergs Talkshow ist Polizeigewerkschafter Rainer Wendt Dauergast. „Hutbürger“ Maik G. („Sie haben mich ins Gesicht gefilmt“) entpuppte sich als Mitarbeiter des Sächsisches Landeskriminalamtes. Und dass der sonntägliche „Tatort“ so erfolgreich ist, „weil er realistisch ist“, Zitat ARD, glaubt nur der Sender selbst. Alle anderen bezweifeln, dass Kriminalbeamte Wohnungen ohne Durchsuchungsbefehl durchsuchen oder Pathologen auf eigene Faust ermitteln. Kurz: Das Bild der Polizeiarbeit – ist ein Zerrbild.

Insgesamt gibt es in Deutschland 19 Polizeien. 16 Länderpolizeien (nach Bundesland), dazu die Bundespolizei (ehemaliger Grenzschutz), das Bundeskriminalamt und die Parlamentspolizei (Bundestag). Jede dieser Polizeibehörden hat bisweilen grundverschiedene Kompetenzen und Zuständigkeiten. Was aber vereint dann Kriminalbeamte bei der Mordermittlung mit dem Verkehrspolizisten beim Knöllchenschreiben? Die Polizei gewährleistet die öffentliche Ordnung und Sicherheit innerhalb der Landesgrenzen der Bundesrepublik Deutschland und stellt sie im Zweifelsfall auch wieder her. So einfach.

Tatort Neuland – Part II:
Tatmittel Internet

Auf der Seite Juraforum.de findet sich in einer Auflistung der polizeilichen Aufgaben folgender Einschub: „neuerdings Ermittlung und Bekämpfung der Internetkriminalität“. Ungeachtet davon, dass abwechselnd von „Internetkriminalität“, „Cyber-Kriminalität“ und „Cyber Crime“ die Rede ist, versucht das Bundeskriminalamt technisch up-to-date zu bleiben. Zitat: „Der Technisch Operative Service (TOS) analysiert aktuelle und künftige Entwicklungen der Technik durch polizeipraktische und wissenschaftliche Technikfolgenabschätzung.“

Tatort Neuland – Part III:
#SocialMedia

Selbstverständlich ist die Polizei auch auf Facebook, Twitter & Co. im Einsatz. In sozialen Netzwerken werden Morddrohungen ausgesprochen, findet Drogenhandel statt und suchen „Cyber-Groomer“ nach Minderjährigen. Laut eines Gesetzentwurfs von Justizministerin Christine Lambrecht sollen soziale Medien künftig dazu verpflichtet werden, solche Straftaten an das Bundeskriminalamt (BKA) zu melden.

Seit einiger Zeit nutzen Polizeibehörden diese Plattformen aber auch aktiv für die Öffentlichkeitsarbeit. Scrollt man durch den Twitter-Feed der Polizei Berlin, wechseln sich an einem Tag Infos zu einem religiös motivierten Anschlag auf einer Autobahn mit Frotzeleien über die coolen Achtziger ab. Passt schon. Aber wenn die Polizei München ein gefundenes Stofftier inszeniert und vermerkt, dass es „Hasi“ gut geht, hat das mit ihrem eigentlichen Auftrag nur wenig zu tun. Dieses Beispiel dient auch als Aufhänger für einen kritischen Beitrag des Juristen Friedrich Schmitt, auf der Seite Netzpolitik.org. Zwar sei die staatliche Öffentlichkeitsarbeit berechtigt, allerdings gelte dieses Recht „nur in den Grenzen der gesetzlichen Kompetenzordnung: [...] Polizeibehörden dürfen nur im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren, Öffentlichkeitsarbeit betreiben.“ Kurz: Niedliche Tiere, Handpuppen, jugendsprachlich formulierte Tweets und andere Ideen, um Nutzern „Augenhöhe“ vorzugaukeln, seien de facto unzulässig, weil unnötig.

Tatort Neuland – Part IV:
Polizeikontrolle per App

Dass ein Smartphone weit über Social Media hinaus bei der Polizeiarbeit helfen kann, beweist die 2019 eingeführte „Fahndungs-App“ der Bundespolizei. Bei einer Kontrolle scannt der Beamte via Smartphone-Kamera den Personalausweis oder per NFC den Reisepass. Die App gleicht die Daten binnen weniger Sekunden mit Einträgen der bundesweiten Fahndungs- und Auskunftssysteme der Polizei ab, „Inpol“. Getestet wurde die App 2018 in Sachsen-Anhalt. Dank eines geringen Datendurchsatzes ist die App auch für den Gebrauch in ländlichen Gebieten geeignet.

Wer von der Popkultur mit Polizeifantasien wie „Robocop“ (1987) oder „Ghost in the Shell“ (1995) verwöhnt wurde, den mag das mobile Abfragen von Personendaten nur wenig beeindrucken. Aber bezüglich digitaler Verbrechensbekämpfung lässt sich der deutsche Polizeiapparat nicht lumpen. Stichwort „Datenforensik“. Sogenannte IT-Forensiker werten Daten von Smartphones, Computern und Co. aus, erstellen Bewegungsprofile und wühlen sich durch Chats, Bilder und Videos – digitale Spurensuche par excellence. Moderne Kriminalität basiert auf Sim-Karten. Menschenhandel, Wettbetrug und mehr wären heutzutage ohne mobile Endgeräte kaum mehr denkbar. Ebenso wie Polizeiarbeit.

Tatort Neuland – Part V:
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Nach dieser kleinen Zustandsbetrachtung lautet die Frage aller Fragen: Wie sieht die Polizei der Zukunft aus? In der ersten Ausgabe 2020 des NRW-Polizei-Magazins „Streife“, lautet das Grußwort von Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann: „‚Analoge‘ und ‚digitale‘ Welt sind eine Welt. Mir ist es daher ein wichtiges Anliegen, dass unsere Polizei dem Wechsel der Bürgerinnen und Bürger in die ‚digitale Welt‘ noch stärker folgt.“
Das Programm SKALA (System zur Kriminalitätsauswertung und Lageantizipation) erstellt Prognosen zu Häufigkeiten und regionalen Häufungen von Wohnungs- und Fahrzeug-Delikten. Es kann Verbrechen also (noch?) nicht konkret vorausberechnen, erkennt aber Muster und erstellt Prognosen für zukünftige Taten. Das Pilotprojekt soll klären, ob auf Datengrundlage Gegenstrategien entwickelt werden können. Aber wer fühlt sich nicht sofort an den Film „Minority Report“ (2002) erinnert, in dem die Polizei Verbrecher für Straftaten verhaftt, derer sie sich schuldig machen würden?

Werden in Zukunft Roboter auf den Straßen patrouillieren? Vielleicht! Was wir bei dieser Diskussion häufig übersehen: Die Technik für die „Polizei der Zukunft“ existiert bereits! Deutschland geht schlichtweg mit (gesunder) Skepsis an die Technologisierung seiner Beamten heran. Denn Datenbrillen mit Gesichtserkennung sind möglich, Drohnen längst Alltag und Militärs auf der ganzen Welt präsentieren mit hochtechnologisierten Rüstungen. Am Ende sollte die Frage sein, ob diese Dinge leichtfertig zum Standard werden, um die Ordnung und Sicherheit einer Zivilgesellschaft aufrechtzuerhalten.

Autor: Robert Gryczke

Quellen: OxfordReference.com, „Juvenal“, abgerufen am 20.08.2020 // Bundestag.de, „Prinzip der Gewaltenteilung“, abgerufen am 21.08.2020 // Welt.de, „‚Hutbürger‘ will 20.000 Euro[...]“ vom 14.09.2019 // BPB.de, „Polizeien in Deutschland“, abgerufen am 22.08.2020 // Juraforum.de, „Polizeiliche Aufgaben“, abgerufen am 22.08.20 // BKA.de, „Technologien“, abgerufen am 22.08.2020 // FAZ.net, „Soziale Netzwerke[...]“ vom 13.12.2019 // YouTube; Walulis, „Polizei auf Twitter[...]“ vom 24.11.2018 // Twitter-Kanal der Polizei Berlin, abgerufen am 23.08.2020 // KlickSafe.de, „Cyber-Grooming“, abgerufen am 23.08.2020 // Techbook.de, „So funktioniert[...] vom 30.10.2018 // Bundespolizei.de, „Einführung der[...]“ vom 06.03.2019 // Mit-Sicherheit-anders.de, abgerufen am 23.09.2020 // Streife - Das Magazin der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen, Ausgabe 1/2020, abgerufen am 23.08.2020 // Polizei.NRW.de, „SKALA[...]“ vom 08.06.2018