82/83. Ausgabe, 4. Quartal 2021

Homo Digitalis und seine Schlachtfelder

Der Mensch tut dem Menschen weh. Aus Angst, aus Gier, aus Spaß. Das ist bittere Realität. Wie sieht das Schlachtfeld der Zukunft aus? Und wieso geht es um Menschenleben, wenn Krieg in Zukunft unbemannt stattfindet? Der Versuch einer nüchternen Annäherung.

Zur Einordnung: Dieser Text entsteht zu einer Zeit, in der Begriffe wie Terror, Krieg oder auch Flucht medial omnipräsent sind. Der vorliegende Text dient in keiner Weise der Glorifizierung oder Verherrlichung. Er bildet Status Quo und Entwicklungen ab; soll dabei popkulturelle Fantasien dekonstruieren und versucht Pathos zu ignorieren.

„Ein seltsames Spiel. Der einzig gewinnbringende Zug ist, nicht zu spielen. Wie wäre es mit einer Partie Schach?“

WOPR, „WarGames - Kriegsspiele“, Film, 1983

Einleitender Gedanke: Slahta

Schlachtfeld: „Schauplatz einer Schlacht“
Wir könnten an dieser Stelle ausführlich die Herkunft des Wortes „Schlachtfeld“ ergründen. Zunächst soll es uns aber genügen, zu wissen, dass das Wort „Schlacht“, laut Duden, seine Wurzeln im althochdeutschen „Slahta“ hat und „Tötung“ und „zuschlagen“ bedeutet.
Ein Feld, auf dem sich geschlagen und getötet wird. Wenn wir uns diesen Umstand aktiv ins Bewusstsein rufen, fällt einem womöglich auf, wie sehr sich Kriegsanalogien in den Alltag geschlichen haben.
„Das Zimmer sieht ja aus wie ein Schlachtfeld!“ – Wirklich? Ist das so? Sieht das Zimmer aus, wie ein Kriegsschauplatz, auf dem Menschen entstellt, verstümmelt und getötet werden?
„Verkehr ist Krieg!“ – Wirklich? Ist das so? Ist das nervige Hupen von Oma Hilde Teil eines „mit Waffengewalt ausgetragenen Konflikts zwischen Staaten, Völkern; [eine] größere militärische Auseinandersetzung, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt“?

Gedanke I: Schlachtfelder in der Vergangenheit

Aus heutiger Sicht fast unvorstellbar, aber nicht immer, war Krieg gleichbedeutend mit taktisch gefällten Todesurteilen, Selbstmordattentaten und Social-Media-Clickbaiting. 1214, während der Schlacht bei Bouvines in Frankreich, gab es sieben verbriefte Tote – teilweise aufgrund obskurer Unfälle. Und warum? Formal war eine kriegerische Auseinandersetzung damals eher ein geordneter Machtbeweis. Das macht es nicht besser. Aus strategischer Sicht machte ein toter Ritter aber mehr Arbeit als nötig, schon weil man damit womöglich Rachegelüste der anhängenden Familie auf sich zog. Darüber hinaus konnten Kriegsgefangene teuer an ihre Heimat verkauft werden.

Gedanke II: Schlachtfelder in der Gegenwart

Wissenschaftsjournalismus sieht Idealismus als den Unterschied schlechthin zwischen kriegerischen Auseinandersetzungen der Vergangenheit und Gegenwart. Robert Birnbaum vom Tagesspiegel schreibt dazu passend: „[…] Krieg als Mittel der Politik wurde [...] durch Zugabe von Ideologie zum entgrenzten Abschlachten. [...] Vom Brand der Universitätsbibliothek von Leiden […], über den Vernichtungskrieg der Wehrmacht auf dem Marsch nach Osten führt ein direkter Weg bis zum 11. September. Im terroristischen Extrem wird das zivile Opfer zum Ziel [...].“ Das technologische Gefälle ist heftig.
Kurzer Einschub: An dieser Stelle muss zähneknirschend attestiert werden, dass ein nicht unwesentlicher Teil unserer Alltagsannehmlichkeiten ihren Ursprung in der militärischen Anwendung haben; darunter der EpiPen, Digitalkameras, Krankenwagen und natürlich Drohnen.

Zurück zum technologischen Gefälle: Große Militärs, etwa jenes der USA, statten ihre Streitkräfte mit modernster Kommunikations- und Wehrtechnologie aus, darunter Helme im Gegenwert mehrerer tausend US-Dollar pro Stück, die via Head-Up-Display taktische Informationen einblenden, Dauerfunkverbindung zum Team herstellen und darüber hinaus gegen Granatsplitter und Trümmerteile schützen sollen. Nachtsichtgeräte und Hubschrauber im Flüstermodus sind schon futuristischer als alles, was sich Science-Fiction-Literatur vor 100 Jahren auch nur zu träumen gewagt hätte. Im krassen Gegensatz dazu stehen Menschen, die mit der Aussicht auf ein besseres Leben nach dem Ableben, einfach an einer Zündschnur ziehen – ohne Hightech – und sich in die Luft sprengen.

Gedanke III: Military Science Fiction – Krieg als Popkultur

Um uns dem Schlachtfeld der Zukunft anzunähern, müssen wir noch einen Abstecher machen – in die Popkultur. In Terminator (1984) mutmaßt Regisseur und Autor James Cameron, dass unsere Welt anno 2029 einer nuklearen Dystopie zum Opfer gefallen sein wird, eine militärische K.I. (Künstliche Intelligenz) die Menschheit unterjochen wird und laserbewaffnete Stahlskelette über das Schlachtfeld marschieren werden.

Ebenfalls in 2029 angesiedelt, zeichnet der Cyberpunk-Klassiker Ghost in the Shell diese Zukunft ganz anders. Hier findet vermehrt eine Cyberkriegsführung auf virtuellem Raum statt. Der große Unterschied zwischen Popkultur und Realität, in puncto Militärtechnik? Echte Militärtechnologie will gar nicht so effektheischend sein. Sonar für die Ortung im Wasser, Schallkanonen (LRAD) oder auch einfach nur leistungsstarke Minicomputer, die Soldaten am Körper tragen, um auf Einsatzpläne, Fotos, etc. zugreifen zu können: High-Tech. 2020 vergab die Bundeswehr einen Millionen-Auftrag an den Rüstungskonzern Rheinmetall. Ziel ist die Entwicklung eines Lasers für militärische Zwecke. Das alles ist genau genommen weitreichender als die grobschlächtigen Tech-Fantasien der Achtziger. Aber auch beunruhigender.

Aber genau diesen Fantasien widmet sich ein Subgenre: Military Science Fiction. Feste Definitionen gibt es nicht. Der Fokus liegt aber zumeist auf futuristische Militärtechnik und Strategien, in Verbindung mit einer übermäßigen Heroisierung des Soldatentums und wenig Raum für andere Themen. Nun soll dieser Text niemandem den ironisch lesbaren Film Starship Troopers vergrätzen oder den Spaß an der Simulation Command & Conquer nehmen. Aber die Frage muss erlaubt sein, was es mit potentiell simpel gestrickten Gemütern anstellt, wenn sie Geschichten konsumieren, in denen es vor allem darum geht, das Schlachtfeld der Zukunft zu glorifizieren, ob der ‚wunderbaren‘ neuen mechanischen, virtuellen und sonstigen Möglichkeiten, ungeliebte Feinde auszulöschen.

Gedanke IV: Der Mythos vom unbemannten Schlachtfeld

„Unbemannte Kriegsführung“ ist Gegenstand von Debatten. Es geht nicht mehr um die Wahrscheinlichkeit von unbemannten Kriegsmaschinen, sondern darum, wie die Gesellschaft damit umgeht. Vielleicht wäre ein guter Start, das ferngesteuerte Abschlachten von Unbeteiligten nicht mehr in Szenarien zu verhandeln, in denen Maschine gegen Maschine kämpft. Es wird auch in Zukunft kein unbemanntes Schlachtfeld geben. Drohnen werden ferngesteuert, von Menschen. Über den Zusammenhang von räumlicher und emotionaler Distanz, ließe sich abendfüllend diskutieren. Wichtiger: Bei Drohnenangriffen sterben Menschen. Das wird auch passieren, wenn in Zukunft ferngesteuerte Panzer durch Kriegsgebiete rollen.

Anfang 2020 redet man im Deutschen Bundestag, auch kritisch, über künftige Kriegsführung: „[…] müssen wir doch in der Lage sein, diese zu beherrschen.“ – Gisela Manderla, CDU. „Heute werden Killerroboter entwickelt, deren eigentlicher Zweck es ist, menschlichen Wesen Schaden zuzufügen […]“  – Kathrin Vogler, Die Linke.

Die Quintessenz dieser weltweit und nicht immer unaufgeregten Debatte: Egal, wie viele Wellen ferngesteuerter Kriegsmaschinen sich auf dem Schlachtfeld gegenseitig zu Metallschrott zermalmen: Ziel ist es am Ende doch, eine letale Bedrohung zu erzeugen. Mein Stock ist größer als dein Stock.

Gedanke V: Cyberkrieg – die reelle Gefahr

An dieser Stelle wird der oder die findige Leser:in bereits bemerkt haben, dass der vorliegende Text, ob des Titels, klammheimlich die Kriegsführung der Gegenwart verhandelt. Der Blick in die Zukunft ist trotzdem ebenso spannend wie beunruhigend. Ein Begriff schwirrt dabei häufig durch die Berichterstattung: Cyberkrieg/Cyber War. Auch dort ist die Versuchung groß, sich schnell in futuristische Gebilde zu stürzen – obwohl die Realität weitaus erschreckender ist. Cyberkrieg und dessen Auswirkungen sind real, vor allem, da ein Gros der industrialisierten Welt durch und durch von elektronischen Systemen abhängig ist, sozial, wirtschaftlich und vor allem infrastrukturell.

Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik schreibt im Zuge der Veröffentlichung eines Arbeitspapiers: „ ,Information‘ war schon immer eine wichtige Währung im Krieg.“ Stimmt, und das Zeitalter der elektronischen Informationstechnologie macht uns unfassbar vulnerabel gegenüber Falschinformationen und Meinungssteuerung – vor allem vor großen demokratischen Wahlen. In Zukunft wird es noch schwieriger werden, im Sumpf sozialer Medien und Online-Angebote, Fake- von realen News zu unterscheiden. Die beste Rüstung in diesem Krieg ist ein kritisches Hinterfragen – nicht etwa das ‚Querdenken‘.

Handfester sind Hacker-Angriffe. Diesen werden schon jetzt mehr Platz im politischen Diskurs eingeräumt. Erst Mitte 2021 traf sich US-Präsident Biden mit Russlands Präsident Putin und übergab eine Liste mit sechzehn lebenswichtigen Bereichen der US. Würden diese Bereiche Ziel von Cyberangriffen, könne dies in Vergeltungsschlägen gipfeln. Gezielte Hacks können Versorgungssysteme in Krankenhäusern lahmlegen; automatisierte Erpressung und Datenklau generierten wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe; 2009 wurde eine iranische Atomanlage gehackt. Ja, Cyberkrieg ist sehr real und wird in Zukunft Hand in Hand mit anderen Formen der Kriegsführung gehen. Leider.

Abschließender Gedanke: Säbelrasseln

Die bittere Realität: Das Schlachtfeld der Zukunft ist das Schlachtfeld der Gegenwart. Algorithmengesteuerte Programme können bereits schwere Maschinen steuern und autonomes Fahren ist längst nicht nur für den Öffentlichen Nahverkehr interessant. Informationskrieg manipuliert nachgewiesenermaßen Wahlen der Gegenwart und große Hacks bedrohen Staaten. Parallel dazu entwickeln die Atom-Mächte Hyperschall-Raketen, die schneller einschlagen, als der Gegner reagieren kann. Homo Digitalis scheint mehr mit Säbelrasselei als allem anderen beschäftigt zu sein. Und dann? Herrscht der letzte Verlierer im Gefecht über ein Reich aus Asche. Herzlichen Glückwunsch.

Autor: Robert Gryczke

Quellen „Homo Digitales und seine Schlachtfelder“ | Duden.de, „Schlachtfeld“, abgerufen am 08.09.2021; Duden.de, „Krieg“, abgerufen am 08.09.2021; Tagesspiegel.de, „Auf in den Kampf“ vom 09.08.2014; Welt.de, „Nach dieser Schlacht […]“ vom 27.07.2018; Tor-Online.de, „Military Science Fiction […]“ vom 14.11.2019; Pocket-Lint.com, „27 Wege […]“ vom 29.01.2021; Deutsches-Spionagemuseum.de, „Geheimtechnik […]“, abgerufen am 09.09.2021; Spiegel.de, „Rheinmetall […]“ vom 26.11.2021; Deutschlandfunkkultur.de, „Kampf-Maschinen…“ vom 29.12.2020; Deutschlandfunk.de, „Wie US-Präsident […]“ vom 31.07.2021; BAKS.Bund.de, „Arbeitspapier […]“, abgerufen am 09.09.21; Süddeutsche.de, „Der Hack […]“ vom 08.07.2021; SWR.de, „Warum uns […]“ vom 18.03.2021