79. Ausgabe, 4. Quartal 2020

Homo Digitalis und seine Universalsprache

Ein gutes Buch, ein Abschiedsbrief, eine essayistische Artikelreihe über digitalen Wandel – Worte können so viel mit uns machen. In der persönlichen Kommunikation kehren wir aber mehr und mehr zu einer Art geupdateten Höhlenmalerei zurück. Werden Emojis unsere neue Universalsprache?

Kommunikation ist ein breites wissenschaftliches Feld. Wir wollen im folgenden Text erkunden, was Sprache eigentlich ist, wie sie sich entwickelt und warum Emojis vielleicht die Universalsprache der Zukunft sind. Doch vorab ein Zitat:

„Ganz früher gab es die Höhlenmalerei, da war die Welt noch in Ordnung. Jemand hat ein Bison gezeichnet, ein anderer hat es gesehen und sich seinen Teil dazu gedacht. Irgendwann war die Wand voll mit Bisons, dann musste eine neue Höhle her. Kommunikation hat immer auch Grenzen.“

Julia Erbersdorfler, „Achtung, Durchsage“, Süddeutsche Zeitung, 2018

¯\_(ツ)_/¯ oder: Was ist eigentlich Sprache?

Glauben wir der Bibel, hatte Gott vor knapp 4200 Jahren (!) ein Problem damit, dass Menschen in Babel gemeinschaftlich einen Turm in sein Dachgeschoss bauen wollten. Also „verwirrte“ der Allmächtige ihre Sprache und teilte die Menschen damit in verschiedene Völker auf, eigene Sprache inklusive.

Ach, wie entzückend diese Erklärung doch wäre und wie kurz dieser Text, wenn wir Fantasyliteratur als Quelle zulassen würden. Tun wir aber nicht. Deswegen müssen wir uns dem Thema anders, aber trotzdem kompakt annähern.

Google, was ist „Sprache“?
„Fähigkeit des Menschen zu sprechen; das Sprechen als Anlage, als Möglichkeit des Menschen sich auszudrücken.“

Danke, Google. Ach, und Google, bist Du eigentlich ein Mensch?
„Ich bin zwar kein Mensch, aber ich tue mein Bestes, um menschlich zu sein.“

Laut neuster Erkenntnisse des „Instituts für Vergleichende Sprachwissenschaft“ an der Universität Zürich haben Affen und Menschenaffen die kognitiven Grundlagen, um Grammatik zu erkennen. Und die genetischen Anlagen dafür gehen auf gemeinsame Vorfahren von Mensch und Menschenaffe zurück und wurden bereits vor 40 Millionen Jahren angelegt. 40 Millionen Jahre Zeit und noch immer müssen Deutschlehrer Eselsbrücken mit „nähmlich“ und „dämlich“ bauen. Trotzdem schätzt die Wissenschaft, dass sich erst vor knapp 1,7 Millionen Jahren die ersten Hominiden via Lautmalerei, Mimik und Gestik an einem Wissenstransfer versuchten. Dass sich diese Laute und später die gesprochenen Sprachen so verschieden entwickelt haben, wie der Mensch sich auch, versteht sich an dieser Stelle selbst. Die ältesten bekannten Höhlenmalereien hingegen sind erst knapp 40.800 Jahre alt. Die Wände der Höhle in der spanischen Stadt Altamira zeigen eine rote Scheibe. Was sie darstellt – wir wissen es bis heute nicht. Vielleicht den Vorläufer des heutzutage so beliebten „wütender Smiley“-Emojis?

:-) oder: die Chronik der Emojis

Von einer roten Scheibe zu einer gelben. Wer in seinen Messenger die Sonderzeichenfolge Doppelpunkt Bindestrich rechte Klammer eingibt, bekommt in der Regel den lächelnden gelben Ur-Smiley angezeigt. Simpler Alltag. Anno 2020 können Nutzer von WhatsApp & Co. auf über 3300 Emojis zugreifen.

Betrachtet man die bisherige Entwicklung von gesprochener Sprache und der Schriftsprache, haben die Ideo- und Piktogramme, die „Emojis“, sich binnen eines Augenblicks in der menschlichen Kommunikation verankert. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts drückt man sich über „telegraphische Zeichenkunst“ aus und formt aus Buchstaben und den verfügbaren Sonderzeichen staunende und lächelnde Gesichter.

1963 schöpft der bescheidene Werbedesigner Harvey Ball als kleingedachte Auftragsarbeit ein kreisrundes gelbes Gesicht, mit zwei Punkten und einem breiten Grinsen. Der „Smiley“ ward geboren, bringt ihm 45 Dollar ein, aber keinen Cent mehr.

┌П┐(◉_◉)┌П┐ oder: Wie Emojis unsere Sprache verändern

Vom ersten digitalen Emoticon bis zu über 3300 systemübergreifenden Emojis, inklusive Regenschirm, Kackhaufen und genderneutralen Santa-Claus-Abbildungen, hat es rund vier Dekaden gedauert. Macht das etwas mit unserer Kommunikation? Ganz bestimmt sogar. Bereits 2014 erschien mit „Book from the Ground“ des chinesischen Autoren Xu Bing ein Roman, der ausschließlich aus Symbolen, Emojis und Logos der Gegenwart geschrieben wurde und den Alltag eines Büroangestellten skizziert. Stilblüte? Vielleicht noch, ja, aber eines musste dieses Buch jedenfalls nicht: übersetzt werden. Und von wie vielen chinesischen Büchern kann man das hierzulande noch behaupten?

In einem  Artikel von 2016, gefunden in der Stuttgarter Zeitung, erklärt der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Anatol Stefanowitsch, dass Emojis schon helfen würden, in Chats Aussagen zu unterstreichen und vor allem zu gewichten. Und während die Sprachpfleger unter den Forschenden einen Verfall der Sprache durch die Bildchen prophezeien, bemerken Sprachwissenschaftler vor allem, dass die digitale Kommunikation deutlich bunter wird.

1982 empfiehlt Scott E. Fahlmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Carnegie Mellon University, die Nutzung der Zeichenfolgen :-) und :-( in Mails und Foren, um Spaß von ernstgemeinten Aussagen zu unterscheiden. Dies gilt bis in die Gegenwart als die Geburtsstunde des „Emoticon“.

1995 beginnt Shigetaka Kurita, Mitarbeiter beim japanischen Mobilfunkanbieter NTT, zwölf mal zwölf Pixel große Bildchen zu designen, die für Kurznachrichten genutzt werden können. Patentiert werden können die „Emojis“ nicht, weil die Schöpfungshöhe zu niedrig ist. Infolge verbreiten sich die Minibildchen auch auf anderen Systemen, letztendlich in der ganzen Welt.

°_° oder: Universalsprache – ja oder nein?

Sollen wir an dieser Stelle orakeln? Schwierig. Emojis verändern zweifelsfrei unseren kommunikativen Alltag, können Sprachbarrieren überwinden und Missverständnissen vorbeugen. In einem FAZ-Kommentar von 2019 beantwortet Autorin Hannah Betke diese Frage für sich selbst wie folgt: „Digitale Blumen zählen nicht, sagt die eine, stimmt ja gar nicht, findet die andere, ich bekomme überhaupt keine Blumen, beklagt sich der Dritte. Und da fängt das Problem erst an.“

Wir schließen uns da gerne an, möchten an dieser Stelle aber zu bedenken geben, dass man nicht nur Emojis, Emoticons, Gifs, etc. missverstehen kann. Selbst klar formulierte Worte können widersprüchliche Reaktionen auslösen. Am Ende ist „Emoji“ vielleicht nicht die kommunikative Ultima Ratio in puncto Universalsprache, aber sie lässt sich zweifelsfrei unkomplizierter erlernen als Esperanto.

In diesem Sinne :-)

Autor: Robert Gryczke

Quellen: Süddeutsche Zeitung, „Achtung, Durchsage […]“ vom 14.12.2018; JW.org, „Der Turmbau […], September 2013“, abgerufen am 16.11.2020; IDW-Online.de, „Kognitive Bausteine [...]“ vom 21.10.2020; ManuelFischer.eu, „Die Entwicklung [...]“ vom 15.11.2015; Sueddeutsche.de, „Wer malte die rote Scheibe?“ vom 15.06.2012; Statista.de, „Anzahl [...]“, abgerufen am 16.11.2020; Wikipedia, Bild „Telegraphische Zeichenkunst“, abgerufen am 16.11.2020; Spiegel.de, „Millionen für ein Lächeln“ vom 11.04.2011; cs.cmu.edu, Profil von Scott E. Fahlman, abgerufen am 16.11.2020; TheVerge.com, „How emoji […]“ vom 04.02.2013; MITPress.MIT.edu, „Book from the Ground“, abgerufen am 17.11.2020; Stuttgarter-Zeitung.de, „Wie Emojis [...]“ vom 16.10.2016; FAZ.net, „Erkenn Dich!“ vom 11.03.2019