Homo Digitalis zwischen Fitnesstracker und E-Health-Debakel

Der Mensch im digitalen Wandel

Folge 1: Die neue Gesundheit

Wie entwickelt sich der Mensch, mit technologischen Revolutionen im Minutentakt? Und wie gehen wir damit um? Im ersten Teil unserer neuen Reihe werfen wir einen Blick auf Gesundheit im digitalen Zeitalter und vor welche Herausforderungen sie uns stellt. Ohne Zweifel: Der Topos „Gesundheit im digitalen Zeitalter“ könnte Bücher(regale) füllen. Auf der folgenden Doppelseite umreißen wir das Thema deshalb nur grob. Dabei kommen wir auf alltägliche Phänomene, wie die elektronische Gesundheitskarte, zu sprechen und auf den neuartigen Trend der Vernetzung mit Fitness-Wearables.

Die digitale Revolution beeinflusst seit ihrem Beginn nahezu jeden Aspekt unseres Lebens. In der vorliegenden Artikelreihe setzen wir uns in jeder Folge mit einem anderen Aspekt auseinander. Dabei liegt der Anspruch darin, sowohl den Status Quo abzubilden, als auch mögliche Veränderungen aufzuzeigen, sowohl technologische, als auch kulturelle und gesellschaftliche.

E-Health: Ist die elektronische Gesundheitskarte Lebensretter oder selbst schon tot?

Seit dem 1. Januar 2015 ist sie Pflicht. In Kreisen der Datenschützer ist sie hart umstritten.  Im Zweifelsfall soll sie Leben schützen. Die elektronische Gesundheitskarte, kurz eGK, wurde knapp eine Dekade lang besprochen, bevor sie in den Brieftaschen der Versicherten gelandet ist. Optisch unterscheidet sie sich zunächst wenig von der bis dahin gültigen Versichertenkarte. Auf der Gesundheitskarte – die Namensänderung selbst ist schon bezeichnend – befindet sich Leonardo da Vincis vitruvianischer Mensch nunmehr links, symbolisiert aber weiterhin die Anwendung im Gesundheitswesen. Der große Unterschied liegt im kleinen Chip – zumindest theoretisch.

Unter dem E-Health-Gesetz (seit 2016 in Kraft) soll(t)en nicht nur Einrichtungen des Gesundheitswesens über eine digitale Infrastruktur miteinander verbunden werden. Der Wechsel zur elektronischen Gesundheitskarte sollte dem Versicherten ein großes Spektrum an Möglichkeiten eröffnen. Einfacher Zugriff auf Patientendaten zum Beispiel; Befunde, Laborergebnisse und Medikationen. Eine elektronische Patientenakte, auf die neu- und weiterbehandelnde Ärzte unkompliziert zugreifen können.

Mit Beginn 2019 ist die Diagnose ernüchternd. Die Rückfrage bei den großen gesetzlichen Krankenversicherungsanbietern ergibt: Mehr als die Basisdaten (Adresse, Geburtsdatum, etc.) speichert auch die neuste eGK-Generation (G2, oben rechts auf der Gesundheitskarte) noch nicht.
Dabei war der Stein des Anstoßes ein ziemlich harter Brocken. Beim sogenannten „Lipobay-Skandal“ 2001 führte das gleichnamige Medikament in Wechselwirkung mit anderen Medikamenten zu einer Reihe von Todesfällen. Die Studie der unabhängigen Unternehmensberatung Roland Berger empfahl eine Chipkarte, auf der die laufende Medikation hinterlegt ist. Das Computerprogramm würde bei potentiell gefährlichen Wechselwirkungen einen Warnhinweis ausgeben.

Dieser Idee folgend, wurde der Vorschlag von der damaligen Bundesregierung um Komponenten wie der elektronischen Patientenakte angereichert und gipfelte in den Bestrebungen zum E-Health-Gesetz, inklusive Einführung der elektronischen Gesundheitskarte.

Mitte 2018 stellte die FDP bezüglich der elek-tronischen Patientenakte eine kleine Anfrage bei der Bundesregierung. Bürokratie und die Suche nach einer Finanzierungsvariante sind noch immer die größte Hürde bei der Umsetzung. Aber zumindest ein Punkt findet schon eine praktische Anwendung: Mehr als 200 Ärzte in der Bundesrepublik veranstalten Online-Sprechstunden, die seit 2017 offiziell angeboten werden dürfen und ersparen PatientInnen damit zum Teil lange Anfahrtswege.

Dr. App und seine Werkzeuge: Was leisten Fitnesstracker & Co.

Auch wenn die Umsetzung des E-Health-Gesetzes nur schwer in Gange kommt, spielt die Digitalisierung des Patienten bei den Krankenkassen eine große Rolle – zumindest bei der Vorsorge. So bezuschusst eine ganze Reihe gesetzlicher Krankenkassen die Anschaffung von Fitnesstrackern und Smartwatches. Oberflächlich betrachtet leisten solche Wearables einen Beitrag zur Selbstoptimierung und machen Fitness attraktiv, für eine Gesellschaft in der alle Daten mit einem Fingerwisch abrufbar sein sollen. Winzige Sensorenpakete in den Armbändern tracken (erfassen) die Anzahl der Schritte, die Höhe, den zurückgelegten Weg, die Geschwindigkeit und sogar die Dauer der körperlichen Inaktivität. Infolge  gibt die Smartwatch dem ‚Faulpelz‘ bei Bedarf auch den Hinweis, doch mal vom Sofa aufzustehen. Und für Krankenkassen ist per se erst einmal alles förderwürdig, was Versicherte zu mehr Bewegung animiert, damit den Kreislauf stärkt und so idealerweise das Risiko der Folgekosten durch Herzattacken & Co. minimiert.

Durch die Kopplung mit zahlreichen Smartphone-Apps lässt sich Fitness plötzlich auch gamifizieren*. Man denke nur an das beliebte Smartphone-Spiel Pokémon GO, bei dem es notwendig ist, sich körperlich zu bewegen, um Erfolg im Spiel zu haben. Registriert das Sensorenpaket, dass sich die/der Spielende auf Grund der Geschwindigkeit vermutlich per Auto o.ä. fortbewegt, werden die zurückgelegten Meter nicht berücksichtigt. Schummeln ist so quasi ausgeschlossen.

Eine Anschlussfrage stellt sich dem aufmerksamen Leser zwangsläufig: „Und wer überprüft am Ende, ob ich mit dem Armband gesünder lebe?“ Gute Frage! Potentiell die Krankenkasse selbst. Denn durch die permanent steigenden Gesundheitskosten ist es nur realistisch, dass die Krankenkassen irgendwie darauf reagieren (müssen). Das passiert zum einen durch Beitragsanpassungen. Dabei geht man allerdings vom Solidarprinzip aus. Der Gesunde – vielleicht auch der gesünder Lebende? – bezahlt durch seinen Beitrag, die Kosten des Kranken – vielleicht auch der ungesünder Lebende? – mit. Fitnesstracker böten theoretisch die Gelegenheit dies zu ändern. Zum Beispiel mit einer individuellen Beitragsanpassung, bemessen nach eigenem Beitrag zur Gesundheit. Unsolidarisch? Nun, beim Zahnarzt gibt es das schon. In Ihrem Bonusheft wird notiert, ob Sie regelmäßig vorgesorgt haben. Im Ernstfall entscheidet die Krankenkasse damit über die Höhe des Zuschusses. Wäre dieses Modell nicht auch auf andere Bereich anwendbar? Frau XY hatte einen Herzinfarkt? Wie hat sie in den letzten Jahren eigentlich gelebt? Versicherungskonzerne wie Generali setzen mit Programmen wie Generali Vitality genau dort an. Kunden übermitteln die Daten ihrer Fitness-Wearables regelmäßig. Wer gesund lebt, bezahlt beispielsweise für Lebensversicherungen weniger Beitrag.

Gesundheit 2.0: Fluch oder Segen?

Eine Schwarzweißmalerei hilft niemandem. Fitness und Gesundheit sind in der Wirtschaftswelt vor allem eines: ein wichtiger Faktor mit großem Absatzpotential. Egal, ob es nun die 1,99 Euro für eine Fitness-App sind, die 199,- Euro für ein Fitnessarmband oder der unbezifferbare Wert, den die Nutzerdaten selbst einbringen. Im Umkehrschluss ist das Auswerten der Nutzerdaten nicht per se schlecht. Das E-Health-Gesetz soll dem Menschen vor allem den Umgang mit den eigenen Daten erleichtern und im Notfall auf Probleme hinweisen, z.B. wenn bestimmte Medikationen miteinander problematisch werden. Dabei fällt aber vor allem auf, dass die Privatwirtschaft zügiger zu Testläufen und praktischen Anwendungsmodellen übergeht, als die Politik. Übervorsicht – oder gar Überforderung? Die Zeit wird es zeigen. Beziehungsweise anzeigen.

Robert Gryczke

Quellen: (Website des Bundesgesundheitsministeriums, abgerufen am 07.03.2019); (Website der Bundesärztekammer, abgerufen am 07.03.2019); (Wikipedia-Artikel „Cerivastatin“, abgerufen am 07.03.2019); (FAZ, „Die Gesundheitskarte steht vor dem Aus“, vom 08.05.2018), (Ärzteblatt, „Online-Videospechstunde: Erprobtes Werkzeug“, Archiv: 05.2018); (ZM Online, „Elektronische Patientenakte: [...]“, vom 18.07.2018)

Quellen: (Stern, „Bewegung als Vorsorge: ...“, vom 24.01.2019); (Ärzteblatt, „Fitnesstracker: Der Datenhunger wächst“, Archiv: 07.2016); (Welt, „Wenn die Krankenkasse Ihre Fitness-App mitliest“, vom 05.04.2016); (Website von Generali Vitality, abgerufen am 07.03.2019)

*Gamification: Übertragung spieltypischer Elemente
in spielfremde Zusammenhänge mit dem Ziel der Verhaltensänderung und Motivationssteigerung.