66. Ausgabe, 3. Quartal 2017

Von Bürgerbüro bis Twitter – so pflegen Bundestagskandidaten ihre Netzwerke

Mit den Wählern gut verlinkt

Seit Wochen blicken sie uns an den Straßenrändern von Plakatwänden und Laternenmasten entgegen: die Kandidatinnen und Kandidaten für die Bundestagswahl 2017.  Wen es interessiert, wofür sie stehen, der muss nicht unbedingt Zeitungen lesen oder Wahlkampfveranstaltungen besuchen, Homepages und diverse Kanäle sozialer Netzwerke bieten viel Stoff zum Lesen und Bildergucken, zum Nachdenken und Diskutieren, zum sachlich-zielorientierten Interagieren, aber auch zum rohen, ungefilterten Dampfablassen. Ohne Facebook, Twitter und Co. geht nichts – nicht nur im Wahlkampf.

Heike Bremer (CDU)

Heike Brehmer, CDU

In ihr Halberstädter Wahlkreisbüro kommen die Bürger trotzdem nach wie vor, sagt Heike Brehmer, seit 2009 CDU-Bundestagsabgeordnete für den Landkreis Harz und den Salzlandkreis und Vorsitzende des Ausschusses für Tourismus. „Das Bürgerbüro ist wichtig, wenn die Leute persönliche Fragen klären wollen“, sagt sie. „Mit Anliegen zur Opferberatung oder mit Rentenfragen nutzen sie den direkten, persönlichen Kontakt in der Sprechstunde.“ Für vieles andere seien soziale Netzwerke jedoch unverzichtbar – über die gesamte Legislatur hinweg.

Brehmer nutzt Xing, WhatsApp und Facebook. „Wir laden über die Netzwerke zu Veranstaltungen ein und erzielen damit eine große Reichweite“, sagt sie. Ihre Facebook-Seite hat 4680 Freunde, von 1680 Personen wird sie abonniert, viele nutzen den Messenger, um ihre Anliegen mitzuteilen. Seit 2007 ist die Abgeordnete bei Facebook unterwegs, und seit 2010 wird auch getwittert, knapp 900 Nutzer folgen Brehmer dort. „Dank dieser Möglichkeiten kommen die Bürger schnell und unkompliziert an mich heran, ich erfahre, was sie bewegt.

Social Media ist vor allem für ihre Tätigkeit als Abgeordnete interessant, für ihre verschiedenen politischen Funktionen und Ehrenämter. Privat hält sich die CDU-Politikerin zurück. „Mein Privatleben ist mir heilig“, sagt sie. „In einer Beziehung“ erfährt der Nutzer immerhin und bekommt Informationen zum Werdegang in Bildung, Beruf, Politik und Ehrenämtern. „Man könnte sich den ganzen Tag mit den sozialen Netzwerken beschäftigen, für die Bürger ist es dadurch unkompliziert geworden, direkt an uns Politiker heranzukommen.“  Manche Nutzer liken oder teilen nur, und es sei manchmal erstaunlich, was über die Netzwerke weiterverbreitet werde, sagt Brehmer. „Viele Fragen werden zu Themen gestellt, an denen wir im Bundestag gerade arbeiten oder was gerade beschlossen worden ist.“ Mails beantworte sie selbst oder leite Anliegen an die jeweiligen Fachleute weiter, die Zeit reiche jedoch nicht, um in den Netzwerken jede Ansicht zu kommentieren.

Auf jeden Fall sind es wichtige Plattformen, um Erreichtes zu kommunizieren wie die zweite Welle der Förderung für Sprach-Kitas 2017 bis 2020, das Investitionsprogramm für Schulen, das Flexirenten-Gesetz oder der begonnene Neubau einer knapp 7,4 Kilometer langen B79-Ortsumfahrung Harsleben-Halberstadt in Brehmers Wahlkreis. „Es ist ein wichtiges Instrument und bringt ein schnelles Feedback“, so Brehmers Fazit.

Dr. Franziska Kersten (SPD)

Dr. Franziska Kersten, SPD

Für Dr. Franziska Kersten, Bundestagskandidatin der SPD für den Wahlkreis Börde und Jerichower Land, ist Facebook „das Medium der Wahl“, um für die Bürger ansprechbar und für ihre Anliegen und Informationen erreichbar zu sein, um zu Veranstaltungen einzuladen und im Netzwerk Position zu beziehen. Die promovierte Veterinärmedizinerin und Tierseuchenreferentin im Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie Sachsen-Anhalt, ist unter anderem Mitglied im Bauernverband und im LandFrauenverband Sachsen-Anhalt und Sprecherin des AGRAR-Netzwerkes der Bundes-SPD, sie war im öffentlichen Veterinärwesen und in der Lebensmittelüberwachung tätig.

Landwirtschaft, Tierwohl und Verbraucherschutz sind Themen, die ihr besonders am Herzen liegen und die sie auf ihrer Homepage und bei Facebook gern kommuniziert. Zum Beispiel die Genugtuung darüber, dass „veganer Käse“ kein Käse mehr sein darf. „Käse wird aus Milch hergestellt und Wurst aus Fleisch, nur dann verdienen sie diese Bezeichnungen“, betont Kersten. Oder das Thema Lebensmittelverschwendung: „Im Schnitt schmeißt jeder Deutsche im Jahr Lebensmittel für rund 900 Euro weg. Lebensmittel müssen wieder mehr wert sein, es ist wichtig, dass Kinder früh lernen, wo Lebensmittel herkommen.“

Kersten geht oft auf Diskussionsveranstaltungen, um Meinungen einzuholen und das Gespräch mit Bürgern zu suchen. Für Facebook sei nur morgens und abends Zeit, denn „Dienst ist Dienst“, betont die Tierärztin. Ohnehin sei „die Informationsflut schon so enorm groß, da ist es gut, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Wir haben kein Informationsdefizit, sondern ein Handlungsdefizit“, sagt die SPD-Bundestagskandidatin. „Die Umsetzung von als richtig erkannten Maßnahmen dauert manchmal quälend lange und unnötige Bürokratie kostet manchmal zusätzliche Zeit. Hier müssen wir einfach schneller werden.“

Dr. Marcus Faber (FDP)

Dr. Marcus Faber, FDP

Verschiedene Wählergruppen brauchen unterschiedliche Ansprachen und Kommunikationskanäle, weiß Dr. Marcus Faber, der zum zweiten Mal in der Altmark für die FDP als Bundestagskandidat antritt.  „Auf Wahlforen treffen wir überwiegend Bürger der Altersklasse 60 plus, auf Facebook sind vor allem die unter 40-Jährigen unterwegs und vormittags zum Wahlkampfstand kommen andere Leute als abends in die Kneipe.“ Deshalb geht Faber mit Parteifreunden auch gern mal im Wahlkreis auf Kneipentour – ganz ohne Presse oder Vorankündigung, in FDP-blauen Kapuzenpullis und mit witzigen Sonnenbrillen, mit Notizblock und Stift. „Da kommen die Leute von ganz allein auf uns zu, erzählen, wo sie der Schuh drückt und geben uns Ideen und Anregungen mit“, sagt der promovierte Politikwissenschaftler.

Im Zentralen Immobilien Ausschuss e.V. arbeitet Dr. Marcus Faber als Referent für Handel, Kommunales, Hotel, Logistik und Bürgerbeteiligung. „Bei der Arbeit, in Ehrenämtern, im Bekannten- und Familienkreis habe ich jeden Tag mit Menschen zu tun, die nicht Politik machen“, sagt Faber, das bringt eine gewisse Erdung mit sich.

Der 33-jährige Stendaler Stadtrat und stellvertretende FDP-Landesvorsitzende ist ein „echtes Stendaler Gewächs“ und deshalb sind ihm neben Investitionen in Bildung Investitionen in A14, Breitbandausbau und Digitalisierung wichtig, „damit die Altmark nicht Deutschlands größte autobahnfreie Region bleibt und Sachsen-Anhalt die rote Laterne bei der Versorgung mit schnellem Internet abgibt“. Auf seiner Homepage ruft Faber auch zu privaten Kleinstspenden für Wahlkampf-Werbung auf Facebook, mit Flyern und Plakaten auf. „Im Gegensatz zur Bundestagswahl 2013 ist die Resonanz sehr gut“, ist Faber positiv überrascht.

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE)

Dr. Petra Sitte, DIE LINKE

Digitalisierung und Netzpolitik sind ein Leib- und Magenthema von Dr. Petra Sitte. Die gebürtige Dresdnerin, die während des Studiums der Volkswirtschaft an der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg zur Wahl-Hallenserin geworden ist, sitzt und wirkt seit 2005 für DIE LINKE im Bundestag. Sitte ist Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion DIE LINKE und unter anderem Mitglied im Ausschuss Digitale Agenda des Bundestages. In der Enquete Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Bundestages hat sie Handlungsempfehlungen miterarbeitet. „Natürlich bin ich bei Facebook“, sagt Petra Sitte. Ein Account dient der Vermittlung politischer und Arbeitsinhalte sowie der Diskussion, einen zweiten Account nutzt die Politikerin privat. „Ich habe mich auch dem Grundgedanken von Facebook ergeben, mich im sozialen Netzwerk mit Menschen zu treffen“, sagt die Freizeit-Radsportlerin.

Der Renner im politischen Facebook-Account ist der „100 Tage – 100 Infos“– Bundestagswahl-Countdown. Das Tagesthema wird angerissen und führt den Besucher über Links zu ausführlichen Informationen. „Wahlprogramme sind schwer verdaulich und unseres hat 135 Seiten. Das lesen nur wenige. Mit 100 Tage – 100 Infos füttern wir die Nutzer an. Es wird kommentiert und diskutiert, auch Verbandsvertreter reagieren und fordern Antworten und Positionen ein“, freut sich Petra Sitte, die von Platz 1 der LINKEn-Landesliste in den Wahlkampf gestartet ist, über den Erfolg. Für die politische Arbeit ist Twitter, sagt sie, im Kurznachrichtendienst laufen alle wichtigen Informationen zusammen. „Ich kommentiere bewusst über Twitter, weil viele Journalisten den Dienst nutzen, direkt aus Twitter zitieren oder aufgrund einer Aussage Kontakt zu mir aufnehmen. Über jede Formulierung denke ich deshalb lieber zweimal nach, bevor ich sie abschicke“, so Petra Sitte. „Hier wird über Bande gespielt, effektiv und schnell.“

Aber auch alle anderen Medien-Kanäle haben Sinn und Nutzen: Persönliche Anliegen werden gern direkt über Messengerdienste oder per E-Mail vorgetragen. Die Homepage dient als Nachschlagewerk und Ort der Transparenz. Sie gibt Einblick in Projekte und Ausschussarbeit sowie in Sittes Einkommen als Bundestagsabgeordnete, über monatliche Spenden und die Empfänger. Auch ihre Steuerbescheide und ihre Rede gegen Diätenerhöhungen können eingesehen werden. Durch nichts zu ersetzen ist der direkte Kontakt zu den Bürgern, zum Beispiel im Wahlkreisbüro in Halle, findet Sitte. Dort können Besucher auch einfach so Kaffee trinken, Zeitung lesen und reden. „Es gibt viele Leute, die allein sind und denen es nicht gut geht, das nimmt zu.“

Steffi Lemke (Bündnis90/Die Grünen)

Steffi Lemke, Bündnis90/Die Grünen

Das direkte Gespräch mit den Bürgern ist extrem wichtig, findet auch Steffi Lemke aus Dessau-Roßlau, derzeit die einzige Grünen-Bundestagsabgeordnete aus Sachsen-Anhalt. Ihre Mitarbeiter kümmern sich in den Bürgerbüros in Magdeburg, Dessau und Wittenberg um verschiedenste Anliegen. Außerhalb der Sitzungswochen ist die Politikerin auch möglichst oft selbst vor Ort, „um die Bodenhaftung nicht zu verlieren.“  Dazu gehört es für sie auch, ihren Lebensmittelpunkt in Dessau zu behalten, im Paddelverein aktiv zu sein, mit älteren und jüngeren Menschen jenseits des Regierungsviertels über Freuden und Sorgen zu reden. Diese Gespräche sowie Bewegung in der Natur sind der Ausgleich zu Schreibtisch und Sitzungen und gewährleisten die Anbindung an das normale Leben, erklärt Steffi Lemke.

Ob offline oder online, Netzwerke wollen gepflegt werden. Online bevorzugt Steffi Lemke Twitter, Facebook und Instagram sowie Messengerdienste für den schnellen Informationsaustausch. Die Website bezeichnet  die Parlamentarische Geschäftsführerin und Naturschutzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen als ihre „Visitenkarte mit Arbeitsnachweis“: „Ich fühle mich verpflichtet, den Wählern zu dokumentieren, was ich im Parlament und in Sachsen-Anhalt mache und wofür ich stehe.

Während die Website im Netz steht und der Nutzer selbst aktiv werden muss, um die gewünschte Information zu finden, „kann ich über andere Kanäle meine Informationen aktiver an die Menschen heranbringen“, erklärt Lemke. Die Themen Natur- und Umweltschutz dominieren auf allen Kanälen: Auf ihrer Homepage finden interessierte Nutzer zum Beispiel eine neue Studie des Massachusetts Institute of Technology, die Steffi Lemke vom Übersetzungsdienst des Bundestages ins Deutsche übersetzen ließ.  In 122 Klimamodellen werden verschiedene Szenarien für die Subsahara in Afrika berechnet – mit erschreckenden Ergebnissen, mit der Aussicht auf Missernten, verheerende Hungerkatastrophen und massenhafte Flucht. Via Facebook und Twitter konfrontiert die Grünen-Politikerin und studierte Agrarwissenschaftlerin ihre Leser unter anderem mit dem dramatischen Rückgang von Schmetterlings- und anderen Insektenarten und mit der Notwendigkeit, gemeinsam mit Politik und Landwirtschaft aus dieser Sackgasse herauszufinden.

Als direkteste und schnellste Kommunikationsmöglichkeit habe sich Twitter bewährt, „von aktuellen Ereignissen erfahre ich meist zuerst über den Kurznachrichtendienst“, sagt Steffi Lemke, „und hier kann ich meine persönlichen Statements direkt abgeben. Das wird von Journalisten und Multiplikatoren sehr gut wahrgenommen.“ Für Hintergrundinformationen und Debatten sei Twitter kaum geeignet, hier helfe aber eine gute Verlinkung. Teilweise sei der Ton im öffentlichen Diskurs online und offline schärfer geworden, stellt Steffi Lemke fest. Dies spiegele wider, dass sich Konflikte und Problemlagen in der Gesellschaft zuspitzen, sich nicht mehr aussitzen lassen und politisches Handeln verlangen.

Autor: bek