
56. Ausgabe, 1. Quartal 2015
Für IT im Rathaus bleibt kaum Geld übrig. Es sei denn …
Im Gespräch mit Heiko Liebenehm vom Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt
In dem am 17.9.1990 gegründeten Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt (SGSA) sind alle hauptamtlich geführten Städte und Gemeinden, die Verbandsgemeinden sowie fast alle ehrenamtlich geführten Gemeinden organisiert. Hier weiß man, was in den Kommunen läuft. Wie modern es in Sachsen-Anhalts Rathäusern in Sachen Informations- und Kommunikationstechnik zugeht, wollte der „Server“ von Heiko Liebenehm wissen. Zu den Aufgaben des Ersten Beigeordneten von Landesgeschäftsführer Jürgen Leindecker gehören auch Verwaltungsmodernisierung, IT und Datenschutz.

Wie gut sind aus Ihrer Sicht die Städte und Gemeinden Sachsen-Anhalts mit ihrer Informations- und Kommunikationstechnik aufgestellt?
Heiko Liebenehm: Die drei kreisfreien Städte Magdeburg, Halle und Dessau-Roßlau stehen insbesondere mit Halberstadt, Stendal, Lutherstadt Wittenberg und Wernigerode an der Spitze der Bewegung. Es gibt Kommunen, die große Anstrengungen unternehmen, mit moderner Technik Verwaltungsabläufe effektiver zu gestalten und andere, die nur das gesetzlich Erforderliche tun, weil auf diesem Weg die eigenen Vorstellungen von Dienstleistungsorientierung und Bürgernähe ebenso gut erreicht werden können. Viele bewegen sich dazwischen. Die Anforderungen an eine moderne Verwaltung sind ja auch sehr unterschiedlich. In kleinen Gemeinden ist vieles überschaubar und braucht nicht unbedingt aufwändige IT-Systeme, in großen geht es ohne schon lange nicht mehr. Doch egal, wie das die Städte und Gemeinden handhaben, sie entscheiden es im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung selbst.
Auf welchen Gebieten bestimmen Städte und Gemeinden Sachsen-Anhalts das Bundesniveau mit?
Heiko Liebenehm: Für einen umfassenden Spitzenplatz fehlt die finanzielle Ausstattung. Im Vergleich zu den alten Bundesländern liegt die Steuerkraft unserer Städte und Gemeinden unter 60 Prozent. Daran ändert sich perspektivisch auch nichts: 2019 läuft der Solidarpakt aus, ab 2020 wird es keine umfassende EU-Förderung mehr geben. Hinzu kommt die demografische Entwicklung mit sinkenden Einwohnerzahlen und dem damit verbundenen Rückgang des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer. Doch die Verwaltungen müssen ihre Dienstleistungen trotzdem dauerhaft, rechtssicher, effizient und flächendeckend anbieten, was das Problem verschärft. Einmal wahrgenommene Aufgaben oder angebotene öffentliche Leistungen und Einrichtungen zurückzufahren, das geht nur bis zu einem gewissen Punkt. Dabei geht es auch um das kommunale Selbstverständnis. Jede Kommune will und muss als attraktiver Wohn- und Wirtschaftsstandort wahrgenommen werden.
Das beste Argument für effizientere Technik und mehr Zusammenarbeit ...
Heiko Liebenehm: Ich beobachte, dass immer mehr Gemeinden interkommunal zusammenarbeiten. Es gibt Beispiele, wo die eine Gemeinde die Überwachung des ruhenden Verkehrs für die andere mit übernimmt. Die andere wiederum übernimmt Aufgaben der Unteren Straßenverkehrsbehörde und die dritte standesamtliche Aufgaben. Solche Zusammenarbeit macht Sinn, da man die anfallenden Kosten auf mehrere Schultern verteilen kann und die Spezialisierung sowie die hierdurch erreichte Verwaltungskraft Grundlage für die dauerhafte Qualität der Aufgabenerledigung sind.
Andererseits geben sie damit ein Stück weit ihre kommunale Selbstverwaltung auf. Gerade hier im Osten ein sehr sensibles Thema.
Heiko Liebenehm: Es bleibt ja im gemeindlichen Verbund, auf dem eigenen Tisch, oder auf dem des Nachbarn. Ich bin überzeugt davon, dass die Notwendigkeit, sich miteinander zu vernetzen, immer stärker wird. Der SGSA hat auch deshalb in 2012 ein Leitbild „Städte und Gemeinden 2025“ erarbeitet, um die strategischen Notwendigkeiten aufzuzeigen. Wer nicht nur bis zum Ende seiner eigenen Amtszeit denkt, sondern weit darüber hinaus, der macht seinem Ort ein Geschenk.

Grundlage interkommunaler Zusammenarbeit sind sichere Netze, gegenseitige Datenzugriffe und vor allem einheitliche IT-Standards. Doch daran hapert es.
Heiko Liebenehm: Gut erkannt. Tatsache ist, dass der Bund mit seinem E-Governmentgesetz, mit eID über den neuen Personalausweis oder De-Mail gesetzliche Rahmenbedingungen und Standards gesetzt hat. Das Land greift das nur in einigen Schwerpunktbereichen, wie dem elektronischen Personenstandsregister, auf. Bisher gibt es bei den Verwaltungsvorgängen im Landesrecht keine normierten IT-Standards, die notwendige Grundlage für eine einheitliche elektronische Abwicklung der ausführenden Kommunen sind, z. B. beim Gewerberecht, beim Umwelt- oder Wasserrecht. Das Land zögert, weil es fürchtet, dass die Städte und Gemeinden dann zu Recht einen Mehrbelastungsausgleich fordern könnten.
Was ist das?
Heiko Liebenehm: Die Finanzierung der Kosten zur Umsetzung entsprechender Standards bei der kommunalen Aufgabenwahrnehmung auf der Grundlage des Konnexitätsprinzips in Art. 87 Abs. 3 der Landesverfassung. Anders ausgedrückt: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Es macht ja keinen Sinn, wenn jetzt in den Kommunen je nach Finanzkraft Insellösungen geschaffen werden, die am Ende nicht miteinander kompatibel sind. Wir brauchen dringend klare und einheitliche Regelungen zu Standards und Schnittstellen beim Einsatz elektronischer Verwaltungsverfahren im Rahmen der Ausführung von Bundes- und Landesrecht. Es fehlt ein klares Konzept, an dem sich die Städte und Gemeinden orientieren können.
Welche Finanzausstattung bräuchten die Kommunen, um die Grundvoraussetzungen für moderne und zeitgemäße Informations- und Kommunikationstechnik zu erfüllen?
Heiko Liebenehm: Bitte erwarten Sie jetzt keine konkrete Zahl. Ich sag’s mal anders: Pro Einwohner investieren Städte und Gemeinden in Sachsen-Anhalt im Jahr 48 Euro, der Durchschnitt in Deutschland liegt bei 250 Euro, in Bayern bei 472 Euro. Also vom Straßenbau über die Kinderbetreuung, Schulen bis zum Seniorentreff und dem ÖPNV. Wer eins und eins zusammenzählen kann, der sieht daran, wie viel für IT übrig bleibt – nämlich so gut wie nichts. Darüber hinaus kürzt das Land den Kommunen immer mehr weg. Nach unseren Berechnungen hat das Land 2014 den Kommunen im Finanzausgleichsgesetz 100 Millionen Euro vorenthalten, 2015 werden es weitere 82 Millionen sein und 2016 sogar nochmals 103 Millionen. Gleichzeitig beschließt der Landtag ständig neue Gesetze, die die Kommunen umzusetzen haben, ohne vollständigen Mehrbelastungsausgleich. Allein die Ausführung des Gefahrhundegesetzes von Sachsen-Anhalt hat die Kommunen seit 2009 zusätzlich 6 Millionen Euro gekostet, das neue Kinderförderungsgesetz schlägt zusätzlich mit 30 Millionen Euro im Jahr zu Buche, ohne entsprechenden Kostenausgleich.

Zumindest beim völlig überlasteten Landesnetz ist Abhilfe in Sicht. Das Land hat die Ausschreibung für ein leistungsfähigeres Datennetz auf den Weg gebracht. Das bringt den Kommunen doch gewiss Erleic
Heiko Liebenehm: Ich kenne die Ausschreibung nicht, der SGSA ist nicht unmittelbar beteiligt worden. Ich hoffe aber, dass das neue Landesnetz ITN-XT den Aufbau eines eigenen sicheren Netzes der Kommunen erübrigt und zugleich als Schnittstelle in das Bundesnetz DOI 2.0 dient. Das würde insbesondere dem Datenaustausch in den Fachverfahren, mit denen Bundesrecht umgesetzt wird, Vorteile bringen. Es wäre geradezu revolutionär, wenn das neue Landesnetz zugleich sichere virtuelle Netze auf Landkreisebene ermöglichen würde. Das wäre ein enormer Schub für die bereits erwähnte interkommunale Zusammenarbeit, bei der es immer auch um den Austausch personenbezogener Daten in sicheren Netzen geht.
Städte wie Genthin, Magdeburg oder Halle nutzen den Sachsen-Anhalt Melder. In diesem auch mobil nutzbaren Web-Angebot können Bürger u.a. ihre Gemeinde auf Probleme in den Kommunen wie wilde Müllablagerungen, defekte Straßenlampen, Schlaglöcher oder ausgefallene Verkehrsampeln hinweisen. Warum nutzen nicht viel mehr kleinere Kommunen diese Möglichkeit?
Heiko Liebenehm: Das Angebot ist vom Land ohne Beteiligung der Kommunen entwickelt worden. Vielleicht wird es auch deshalb zögerlich angenommen. Ich habe auch schon von Bürgermeistern gehört, dass sie im Netz nicht am Pranger stehen wollen, weil sie dem einen oder anderen Hinweis nicht sofort nachgehen können. Als SGSA sagen wir: Das ist eine Entscheidung der kommunalen Selbstverwaltung vor Ort.
Einige Kommunen zeigen mit eigenen Auftritten Gesicht in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter, andere halten das für Zeitverschwendung. Welche Position nimmt der Städte- und Gemeindebund dazu
Heiko Liebenehm: Bei Facebook haben wir Probleme wegen der Reichweitenanalyse. Das halten wir datenschutzrechtlich für bedenklich, zumal Verkehrs- und Inhaltsdaten in die USA weitergegeben werden, und raten unseren Mitgliedern, übrigens auch auf Empfehlung des Landesdatenschutzbeauftragten, deshalb eher ab. Ohnehin macht Facebook nur Sinn, wenn Kommunen diese Interaktion auch personell durchstehen. Aus unserer Sicht reicht eine ordentliche und übersichtliche Homepage mit Interaktionsmöglichkeiten völlig aus. Twitter kann durchaus sinnvoll sein, besonders im Hinblick auf Katastrophen- bzw. Gefahrensituationen wie Hochwasser oder Brand. Im Alltag haben wir zu Twitter ein eher ambivalentes Verhältnis, unter Umständen kann der Nutzer am Ende schwer einordnen, ob ein Tweet von der Gemeinde selbst kommt und welcher von einem anderen Follower.

Der Bürger- und Unternehmensservice (BUS) preist sich als Infodienst im Landesportal www.sachsen-anhalt.de sowie in kommunalen Portalen als Zuständigkeitsfinder mit Formular-Service an. Alle Landkreise und kreisfreien Städte sowie mehr als 90 Prozent der Gemeinden sollen angeschlossen sein. Lohnt der ganze Aufwand?
Heiko Liebenehm: Durchaus, denn für die Kommunen ist der Aufwand überschaubar und es gibt konkreten Nutzen. Das ist ein Beispiel für die gelungene Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen und bringt Synergien in beiden Bereichen. Man sollte aber keine Wunderdinge erwarten, denn der BUS ist ja nichts weiter als eine Kanalisation zur richtigen Adresse in den Verwaltungen mit Hinweisen zum Verfahren sowie Formularen. Nachteil für den Bürger: Wenn er den richtigen Ansprechpartner gefunden hat, kann er das Verfahren nicht unmittelbar elektronisch einleiten und online abwickeln, da die Fachverfahren in den Verwaltungen keine Schnittstelle zum BUS haben. Wir haben hier also einen Medienbruch.
Haben Verwaltungen, die digital erreichbar sind, Informationen und Leistungen online bereitstellen, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber denen, die es nicht tun?
Heiko Liebenehm: Vielleicht in Hinblick auf die Ansiedlung von Unternehmen. Ich glaube aber nicht, dass Menschen von einer Gemeinde in die nächste ziehen, nur weil dort das IT-Angebot der Verwaltung umfangreicher ist.
OpenData gilt als modern und innovativ. Inzwischen stellen Kommunen darüber jede Menge Daten online, mit denen kommerzielle Unternehmen Geld verdienen. Was überwiegt aus Sicht des Bundes: die Vor- oder die Nachteile?
Heiko Liebenehm: OpenData ist zweifellos ein Zukunftsthema. Klar ist das Interesse an Informationen, an Fakten, an Daten in der Bevölkerung gewachsen, aber ich glaube nicht, dass sich die Menschen jetzt plötzlich für jedes Verwaltungsdetail und jede Statistik in ihrem Heimatort interessieren. Man soll und braucht nicht alles im Internet veröffentlichen, denn vieles berührt datenschutzrechtlich relevante Persönlichkeitsrechte. Ohnehin kann jeder schon heute Akteneinsicht verlangen. Die Kommunen müssen auch weiterhin auf freiwilliger Basis entscheiden können, welche Fakten von allgemeinem Interesse sind und veröffentlicht werden sollten. Wenn es aber diesbezüglich Vorgaben geben sollte, muss eine Refinanzierung des Aufwandes sichergestellt sein. Wenn Firmen mit der Faktenrecherche Geld verdienen, so kann ich damit leben. Schließlich haben sie eine Leistung erbracht.
Ist Wirtschaftsförderung erfolgreicher, wenn man auf persönliche Kontakte setzt, oder reicht es heute, E-Government-Angebote für Unternehmen anzubieten?
Heiko Liebenehm: Das eine sollte getan werden, ohne das andere zu lassen. Umfassende Informationen im Netz gehören ebenso dazu, wie z. B. schnelle Genehmigungsverfahren, Stichwort OneStop-Government, und eben auch persönliche Kontakte. Wer nur auf Online setzt, hat kaum eine Chance.
Mit der Kommunalen IT-UNION eG (KITU) haben Sachsen-Anhalts Kommunen 2010 eine Genossenschaft gegründet. Von drei ist deren Mitgliederzahl inzwischen auf 32 gestiegen. Wie beurteilen Sie diesen Zusammenschluss?
Heiko Liebenehm: Wie gesagt, reicht die Finanzkraft nicht aus, um in jeder Kommune die notwendige IT-Struktur selbst zu entwickeln und anzupassen. Es ist also notwendig, mit Hilfe von Dienstleistern die interkommunale Zusammenarbeit zu forcieren. Beides ermöglicht die KITU und deshalb begrüßen wir die Gründung dieser Genossenschaft und sehen die Entwicklung positiv. Perspektivisch brauchen wir ein kommunales IT-Kompetenzzentrum, das zum einen Dienstleister für die Kommunen ist, andererseits aber auch strategischer Vordenker für die Zukunft.

Autor: Jens-Uwe Jahns
Der Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt (SGSA)
Der 1990 gegründete Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt (SGSA) ist der kommunale Spitzenverband der Städte, Gemeinden und Verbandsgemeinden in Sachsen-Anhalt. Der Verband hat seinen Sitz in der Landeshauptstadt Magdeburg. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. Dem SGSA gehören 209 Städte und Gemeinden mit insgesamt 2,23 Millionen Einwohnern an. Das entspricht 99,49 % der Gesamtbevölkerung. Hinzu kommen 18 Verbandsgemeinden. Damit sind alle hauptamtlich geführten Städte und Gemeinden sowie fast alle ehrenamtlich geführten Gemeinden im Bund organisiert. Darüber hinaus haben 21 Zweckverbände aus dem Bereich der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung die außerordentliche Mitgliedschaft erworben.