80. Ausgabe, 1. Quartal 2021

Partnerschaft oder Alleingang? Wegducken ist keine Option!

Gespräch mit Jörg Rudowski, Referatsleiter „Digitale Verwaltung, Informationstechnik“ im Innenministerium, über den aktuellen Stand zum Onlinezugangsgesetz (OZG)

Bis Ende 2022, so das Onlinezugangsgesetz (OZG), sollen alle öffentlichen Verwaltungen in Bund, Land, Stadt und Kommune ihre Verwaltungsleistungen digitalisiert haben und online anbieten. Experten wissen: Je kleiner die Gemeinde, desto größer die Aufgabe. Über den aktuellen Stand der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes in Sachsen-Anhalt sprach der SERVER mit Jörg Rudowski, Referatsleiter „Digitale Verwaltung, Informationstechnik“ im Innenministerium.

Herr Rudowski, Hand aufs Herz: Wie ist der Stand der Dinge?
Wir sind gut vorangekommen und ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen können. Dem Gesetzgeber war angesichts der föderalen Strukturen in Deutschland durchaus bewusst, dass die bundesweite Verwaltungsdigitalisierung sehr komplex werden wird. Nicht nur jedes Land hat eine Vielzahl parallel existierender IT-Infrastrukturen, sondern gerade in den Kommunen sind die Voraussetzungen höchst unterschiedlich. Die Ausgangslage war bekanntlich sehr komplex und definitiv nicht einfach.

Wo liegt das größte Hindernis?
In den vielen parallelen Strukturen. Sie koordiniert zusammenzuführen ist die größte Herausforderung.

Welche Voraussetzungen, alle Verwaltungsleistungen in den 135 Kommunen Sachsen-Anhalts online anzubieten, sind bereits gegeben?
Viele erwarten vom Land Vorgaben, wie das OZG unkompliziert und einfach umgesetzt werden kann. Dem steht aber die kommunale Selbstverwaltung entgegen. Anders gesagt: Einzig auf kommunaler Ebene wird über Art und Weise der Umsetzung entschieden. Und zwar von Kommune zu Kommune. Wir als  Land unterstützen sie bei der OZG-Umsetzung, indem wir ihnen bereits das Landesportal Sachsen-Anhalt einschließlich der dort angebotenen Basisdienste unentgeltlich zur Nutzung zur Verfügung stellen. Aktuell sind über alle Verwaltungsebenen hinweg eine Vielzahl technologischer Fragen zu beantworten.

Zum Beispiel?
Es muss über die Frage der Netzanbindung entschieden werden, man muss sich einig darüber sein, welche Fachverfahren genutzt und ggf. wie ausgeschrieben werden. Man muss entscheiden welches Ratsinformationssystem oder welche Videokonferenzsystem man nutzen mag. Und, und, und. Und bei all dem darf man auch nicht die organisatorischen und prozessualen Aspekte vergessen. Deshalb sollte man stets den Blick auf den Dreiklang von „Organisation-Prozess-Technik“ richten.

Nicht jede Kommune hat die Kompetenz für solche Entscheidungen großer Tragweite ...
Richtig. Ich rate dazu, sich mit den Nachbargemeinden zu beraten, strategische Partnerschaften einzugehen, Verbündete zu suchen. Das Land Sachsen-Anhalt hat dieser Herausforderung mit dem E-Government-Gesetz Rechnung getragen. Dieses Gesetz sieht, neben der OZG-Umsetzung in Sachsen-Anhalt, auch Möglichkeiten vor, um das Verwaltungshandeln von Land und Kommunen in einheitliche Bahnen zu lenken.

Welche Möglichkeiten hat das Land, die unterschiedlichen digitalen Fachverfahren in den Kommunen und Landkreisen anzugleichen oder zumindest miteinander kompatibel zu machen?
Eine besondere technologische Herausforderung besteht darin, die vielfältigen bestehenden Ansätze zur Digitalisierung auf allen Ebenen in eine gemeinsame Struktur einzubinden. Die in Teilen schon verfügbare „Online Service Infrastructure“ von Dataport (OSI-Plattform) wird eine technische Grundlage für die Umsetzung des OZG bilden. OSI wird als eine einheitliche Plattform von mehreren Ländern, der OSI-Kooperation, gemeinsam betrieben und weiterentwickelt. Die Integration des Basisdienstes „Bürger und Unternehmensservice Sachsen-Anhalt“ (BUS) und die Möglichkeit der Anbindung bereits existierender Onlinedienste an die OSI-Plattform sind zwingende Voraussetzung. Mit dem BUS bieten wir der kommunalen Familie einen gesetzeskonformen Basisdienst an, der im Rahmen des Entwicklerverbundes „Linie6Plus“ von mittlerweile neun Ländern genutzt und weiterentwickelt wird. Der Dienst ist interoperabel und bereits erfolgreich an den Portalverbund angebunden.

In einigen Bundesländern hat die Landesverwaltung ein IT-Unternehmen beauftragt, das alle Kommunen so miteinander vernetzt, dass sich am Ende alle Fachverfahren „verstehen“ und jede einzelne Schnittstelle miteinander harmonisiert. Warum ist Sachsen-Anhalt diesen Weg nicht gegangen?
In Sachsen-Anhalt hat der Gesetzgeber entschieden, dass der IT-Kooperationsrat das gemeinsame Gremium für die verwaltungsträgerübergreifende Zusammenarbeit zwischen dem Land und den Einheits- und Verbandsgemeinden sowie den kreisfreien Städten und Landkreisen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie ist. Die kommunalen Spitzenverbände sind mit zwei Vertretern im IT-Kooperationsrat vertreten. Und genau an dieser Schnittstelle bietet sich die Gestaltungsmöglichkeit für jede Kommune. Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis zu Mitwirkungspflichten der Kommunen auf technischer, organisatorischer und prozessualer Basis.

Noch einmal: Wäre die Beauftragung eines IT-Unternehmens für alle effektiver gewesen, um auch die (überforderten) kleinen Kommunen mitzunehmen?
Ich sage mal so: Die Gründung eines – wie auch immer strukturierten – Zweckverbandes muss von den Kommunen ausgehen. Es ist wie immer bei der Digitalisierung der Verwaltung: Wenn etwas hinderlich ist, dann sind es Hierarchien. Wir brauchen Spezialisten, die gemeinsam für alle Interessierten Lösungen suchen und anbieten.

Welche Rolle könnte die KITU mit ihren aktuell 87 Mitgliedern übernehmen, um das OZG in Sachsen-Anhalt noch effektiver einzuführen?
Die Kommunale IT-UNION eG wirbt mit dem Slogan „Eine starke Gemeinschaft“. Und genau darum geht es doch: Das Potential, die Ideen und auch das Engagement der Mitglieder zu nutzen, um die Koordinierung und die Adressierung der Bedarfe permanent mit dem Land abzustimmen. So können wir Parallelstrukturen vermeiden. Aus meiner Sicht bleibt uns doch gar nichts anderes übrig, als mit Blick auf die Umsetzungsverpflichtung des Onlinezugangsgesetzes bis Ende 2022 alle Kräfte zu bündeln.

Ist es eigentlich ein Problem, dass die Umsetzung des OZG in Sachsen-Anhalt von zwei Ministerien verantwortet wird?
Die Landesregierung hat die Zuständigkeit für leistungsbegründende Rechtsvorschriften auf alle Ressorts verteilt. Demzufolge sind alle Ressorts für die Umsetzung des OZG im Land Sachsen-Anhalt zuständig. Neben der Zuständigkeit für leistungsbegründende Vorschriften sieht die Landesregierung weitere Zuständigkeiten allgemeiner Art vor.  Das Ministerium der Finanzen übernimmt die Gesamtkoordinierung der OZG-Umsetzung und koordiniert in diesem Zusammenhang auch die Zusammenarbeit mit der kommunalen Familie. Das Ministerium für Inneres und Sport sorgt für den rechtlichen Rahmen im E-Government und übernimmt mit der hier verorteten Zentralen Leistungsredaktion wesentliche operative Umsetzungsaufgaben bei der Informationsbereitstellung. Sachsen-Anhalt ist Themenfeldführer für den Bereich „Bildung“. Daher sind die hier zuständigen Fachministerien (Ministerium für Bildung, Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung sowie Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration) besonders gefordert, wenn es um die Onlineangebote zu den Verwaltungsleistungen geht (z. B. BAföG oder Schülerbeförderung).

Noch einmal: Sie glauben nicht, dass viele Köche den Brei verderben?
Ganz im Gegenteil. Um in Ihrem Sprachbild zu bleiben, ist Sachsen-Anhalt eine Großküche mit knapp 2,2 Millionen potentiellen Essern. Jeder Koch kennt da seine Aufgabe – der eine ist Spezialist für die Vorspeise, der andere für den Hauptgang, der nächste fürs Dessert. Und am Ende schmeckt alles so vorzüglich, dass sich jeder die Finger danach leckt.

juj