Die Schnellen lassen die Langsamen hinter sich

1999 gründete Magdeburg mit der KID ein Unternehmen, das sich kompetent und flexibel um die IT in allen Verwaltungsbereichen kümmert. Als 2009 Barleben und Magdeburg die KITU-Genossenschaft ins Leben riefen, stehen seitdem auch kleineren Kommunen das Wissen und die Kompetenz der Landeshauptstadt zur Verfügung. Gleichberechtigt und fair. Was hinter dem Erfolgsmodell steckt, erklären im Interview die KITU-Vorstände Dr. Michael Wandersleb und Marcel Pessel.

War die Gründung der KITU eine Art Notlösung, weil womöglich nach 10 Jahren Existenz die KID nicht mehr weiterkam?
Dr. Michael Wandersleb: Auslöser war eine Bemerkung des Magdeburger Oberbürgermeisters, der die KID tatsächlich ermunterte, weitere Geschäftsfelder zu erschließen, um das kommunale Tochterunternehmen breiter aufzustellen. Und es gab mit kommunalen IT-Verbünden zum Beispiel in Sachsen, Bayern, Hessen, NRW und Niedersachen ja bereits gute Vorbilder in anderen Bundesländern.

Als gewiefter Betriebswirt haben Sie sich das nicht zweimal sagen lassen?
Dr. Michael Wandersleb: Für ein Unternehmen sind mehrere Standbeine immer gut, insbesondere wenn man dabei Synergieeffekte nutzen kann. Zunächst haben wir nach Gründung der KID vor 20 Jahren in zwei Richtungen gedacht: Die Versorgung von Banken und anderen Privatunternehmen mit IT-Dienstleistungen war die eine Richtung, die andere war, Software für Kommunen selbst zu entwickeln. Beides war nicht von Erfolg gekrönt, weil wir es mit den ganz großen Playern nicht aufnehmen können.

Stattdessen haben Sie sich auf die KID-Kernkompetenz besonnen.
Dr. Michael Wandersleb: Das soll nicht arrogant klingen, aber als IT-Dienstleister einer Landeshauptstadt hat man natürlich ganz andere Möglichkeiten als Verwaltungen von Verbandsgemeinden oder kleineren Städten. Doch die sogenannten „Kleinen“ brauchen ja auch Kompetenz, Erfahrung, Sicherheit und Strategie für ihre IT.

Nach 40 Jahren DDR haben die „Kleinen“ sicher darauf gewartet, ihre gerade erst gewonnene kommunale Selbstverwaltung gleich wieder aufzugeben?
Dr. Michael Wandersleb: Um diesem Denkmuster eben nicht zu entsprechen, musste eine Idee her, die alle gleich behandelt. Meine erste war, dass Städte und Gemeinden Geschäftsanteile der KID erwerben und so die Erfahrungen und Ressourcen des Magdeburger IT-Dienstleisters nutzen können.

Wetten, dass die Stadt Magdeburg da nicht mitspielte?
Dr. Michael Wandersleb: Doch, sie hätte es getan, aber die Beteiligung von Kommunen an GmbHs oder Aktiengesellschaften ist betriebswirtschaftlich und steuerrechtlich sehr problematisch.
Marcel Pessel: Deshalb mussten wir radikal umdenken und ein für Kommunen neues Modell aus dem Ärmel zaubern.

Lassen Sie mich raten: eine Genossenschaft?
Marcel Pessel: Genau. Ein Geschäftsmodell mit dem besonderen Charme, dass der Eigentümer, also der Gesellschafter, zugleich der Nutznießer, also der Kunde, ist. Gemeinsam nutzt man die Preisvorteile einer Einkaufsgenossenschaft oder man entwickelt und betreibt gemeinsame Projekte, wie es z.B. Mitglieder einer Genossenschaft für Windkraftanlagen tun.
Dr. Michael Wandersleb: Ein weiterer Vorteil: In einer Genossenschaft hat nicht der das Sagen, der das meiste Kapital einbringt, sondern gleichberechtigt jedes Mitglied. Ob es eine Landeshauptstadt mit 240.0000 Einwohnern oder eine Verbandsgemeinde mit 7.000 ist – jeder hat eine Stimme.

Und da hat die Landeshauptstadt zugestimmt?
Dr. Michael Wandersleb: Sie hat es zugelassen und dankenswerterweise nicht Angst gehabt, zu viel Einfluss abzugeben.
Marcel Pessel: Entscheidend war dann, dass das Landesverwaltungsamt seinen Segen gibt, dass eine Genossenschaft von Landkreisen, Städten und Gemeinden machbar und rechtsfähig ist. Am 22. Dezember 2009 haben wir das schwarz auf weiß bekommen – nach nicht einmal einem Vierteljahr. Der Prüfverband der Genossenschaften kam erst später zu einem positiven Prüfergebnis.
Dr. Michael Wandersleb: Dieses Papier der oberen Kommunalaufsicht war für die KITU der entscheidende Meilenstein. Er hatte gelinde gesagt die Wirkung eines Persilscheins, weil nun die unteren Kommunalaufsichten nicht jeweils neu entscheiden mussten.

Braucht man für die Gründung einer Genossenschaft nicht mindestens drei Mitglieder?
Dr. Michael Wandersleb: Mit der KID und der Stadt Magdeburg gab es zwei. Wir hatten ohnehin die Empfehlung bekommen, möglichst klein anzufangen. Also bin ich auf die Suche nach einem Willigen gegangen, der für schnelle Entscheidungen bekannt ist.

Und sind ausgerechnet in Barleben gelandet, das sich als potente Gemeinde im Speckgürtel allen Magdeburger Eingemeindungs-Avancen hartnäckig widersetzt hat. Was für ein Zufall?
Dr. Michael Wandersleb: So habe ich überhaupt nicht gedacht. Barleben hatte damals ein Problem und wir einen möglichen Ausweg.
Marcel Pessel: Ich begann 2002 in der Gemeindeverwaltung Barleben und übernahm 2007 das Hauptamt. Die wachsenden Aufgaben erforderten eine Erneuerung des Rechenzentrums und der kompletten IT. Wir hätten das – Stichwort Ausschreibungs- und Beschaffungsproblematik – sicher auch allein hinbekommen, doch mit großem Aufwand für ein einziges Projekt. Die KITU bot uns nun die Möglichkeit, mehr Dampf in unser Vorhaben zu bekommen. Und ganz nebenbei mehr Kompetenz, mehr Schlagkraft in kürzester Zeit.
Dr. Michael Wandersleb: Für die KITU war das die Initialzündung. Als sie im Juni 2010 ins Genossenschaftsregister eingetragen wurde, war sie geschäftsfähig und konnte in Barleben loslegen.

Ein noch viel größerer Glücksfall aber war Zeitz, das vierte KITU-Mitglied. Warum?
Dr. Michael Wandersleb: Aus zwei Gründen: Erstens ist Zeitz die südlichste Stadt in Sachsen-Anhalt, und nun konnte keiner mehr behaupten, dass die KITU ein Werk Magdeburgs und seiner Vasallen zur „feindlichen Übernahme“ sei. Zum anderen prüfte Zeitz damals auch andere Möglichkeiten, sich Unterstützung ins Haus zu holen. Doch sie haben sich für uns entschieden – wegen des schon erwähnten „Persilscheins“ des Landesverwaltungsamtes und des genossenschaftlichen Geschäftsmodells.

Es ging ihnen um Sicherheit und Vertrauen?
Marcel Pessel: Das ist immer das Wichtigste: Mit ihrem gemeinschaftlichen Wissen und der Geschäftsbesorgung durch ein so exzellentes Fachunternehmen wie die KID bietet die Genossenschaft den Kommunen, ihren Bürgermeistern, Hauptamts- und IT-Leitern, den Bürgern und Unternehmen auf dem Weg zur Digitalisierung der Verwaltungen genau das. Was mit Lochkarten und einem Großrechner mal begann, ist heute von keinem vor Ort mehr zu überschauen und zu steuern. Es braucht Partner, Experten, Know-how und Wissen. Und wie wir alle wissen: Auf diesem Gebiet sind nicht nur seriöse Profis unterwegs.
Dr. Michael Wandersleb: Die Zusammenarbeit der Kommunen ist zwingend notwendig. Sie müssen sich vernetzen, um für den Bürger attraktiv zu bleiben. Heute erwartet der Bürger kurze Wege, schnelle Bearbeitungszeiten und möglichst viele Online-Dienstleistungen. Der Weg ins Rathaus ist immer seltener nötig. Das Nummer-Ziehen im Bürgerbüro ist zwar noch da, aber von gestern. Immer mehr Verwaltungen reagieren darauf mit modernen Dokumentenmanagementsystemen, bei denen die Akten elektronisch bearbeitet werden.

Hat sich das schon herumgesprochen?
Marcel Pessel: Offenbar, denn die KITU ist zehn Jahre nach ihrer Gründung ein Erfolgsmodell. Wir hätten 2009 nicht zu träumen gewagt, mal 73 Mitglieder zu haben. In ganz Sachsen-Anhalt gibt es nur 122 Städte und Gemeinden mit Verwaltungen sowie 11 Landkreise.
Kommen die meisten nicht zur KITU, um das komplizierte Ausschreibungsprozedere zu umgehen bzw. wegen der günstigeren Einkaufspreise?
Dr. Michael Wandersleb: Wir verstehen uns jedenfalls nicht nur als Beschaffer, sondern vorrangig als Berater, Netzwerker und Dienstleister. Wir stehen gemeinsam vor riesigen Herausforderungen, die niemand mehr allein meistern kann.

Welches sind die größten Herausforderungen der Zukunft?
Dr. Michael Wandersleb: Das bereits erwähnte Dokumentenmanagementsystem wird die Verwaltungsarbeit revolutionieren. Darüber kann man vieles steuern und Prozesse gestalten. Damit haben wir angefangen und wollen in vielen Kommunen starten. Grundvoraussetzung ist aber bei allem und allen der Wille zur gemeinsamen Lösung, auch wenn sie – kurzfristig betrachtet – für die jeweils eigene Stadt nur die zweitbeste Variante sein sollte. Das Gesamt-Optimum zählt.
Marcel Pessel: Und die Einführung Künstlicher Intelligenz (KI) in Verwaltungen. Sie verwechselt z.B. nicht auf analog eingehenden Rechnungen Rechnungsdatum mit Rechnungsnummer oder Kontoverbindung und erkennt Skontoangebote. KI ist auch für einfache Auskünfte in sogenannten Chat-Bots prädestiniert.

Haben Sie einen Wunsch für die nächsten zehn Jahre?
Dr. Michael Wandersleb: Die notwendige Digitalisierung ist von den insgesamt im Bundesvergleich kleinen und finanzschwachen Kommunen bei uns nicht allein zu stemmen. Es bedarf massiver Unterstützung. Als KITU können wir die technischen Voraussetzungen schaffen und die Umsetzung begleiten. Eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Land könnte diesen Prozess auch wesentlich unterstützen. Ein konkret geäußerter Wille zur Kooperation wäre hier ein willkommener Einstieg. Das eine solche Kooperation auf Augenhöhe möglich und fruchtbar ist beweisen Bundesländen wie NRW, Bayern und Hessen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann wäre es zumindest dieser.
Marcel Pessel: Nicht die Großen werden die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen hinter sich lassen. Das ist die Chance für Sachsen-Anhalt. Wir müssen sie nur nutzen. Dazu ist ein starkes Zusammenrücken aller staatlichen Ebenen horizontal und vertikal nötig. Und man sollte auf Experten hören. Die KITU gehört zweifellos zu diesen Experten und bietet ihre Unterstützung immer wieder an.

Lassen wir das mal so stehen. Haben Sie noch ein Wort zum Schluss?
Dr. Michael Wandersleb: Wir sagen allen Mitgliedern Danke für ihr Vertrauen und bitten auch für die nächsten zehn Jahre um die Fortsetzung der sehr angenehmen Zusammenarbeit. Die Zeiten werden noch spannender. Freuen wir uns darauf, dabei sein zu dürfen.
Marcel Pessel: Und mit Blick auf die Mitgliederentwicklung: Nicht die Zahl ist entscheidend für uns, sondern der Grad der Intensität in der Zusammenarbeit.

juj