„Irgendwann wollten wir einfach unser eigenes Ding machen“

Taucht man in die Entstehungsgeschichte der KID Magdeburg ein, kommt man an einem Mann nicht vorbei: Roman Krajinski, Diplom-Ingenieur und gewiefter Taktiker. Dank eines beruflichen Projektes in den letzten Monaten der DDR bekam der IT-Spezialist die Chance, zu einem entscheidenden Weichensteller in der Nachwendezeit für die IT-Strategie der Landeshauptstadt zu werden.

Regina Haase und Roman Krajinski

Roman Krajinski ist Mitarbeiter im volkseigenen Unternehmen „Entstaubungstechnik Magdeburg“. Das lebt vom Export und bringt der DDR eine Menge Devisen ein. Um auch künftig in den Westen exportieren zu können, bekommt die Firma 1988 modernste Rechentechnik vom damaligen Marktführer Siemens. Roman Krajinski erinnert sich: „Alle um uns herum haben große Augen gemacht, als wir für unser neues Rechenzentrum neueste Westtechnik auf dem Tisch hatten. Als Projektleiter setzte ich alle Hebel in Bewegung, damit unser Projekt erfolgreich wird. Doch als wir fertig waren, kam die Wende.“

Für Krajinski, der sich nun als einer der wenigen mit Westtechnik auskennt, ein Glücksfall. Denn als die Wiedervereinigung den Osten umkrempelt, ist für ihn modernste Rechentechnik kein Buch mit sieben Siegeln mehr. Und damit wird er zu einem gefragten Mann. Er wechselte dann zur neu gegründeten Fachabteilung Informations- und Kommunikationstechnologie (IuK). Sie gilt als Vorläufer der heutigen KID. Mit Monika Bierstedt, Gabi Radtke, Dietrich Weiland, Anja Kater (später Neufing) sind es anfangs gerade mal eine Handvoll Mitarbeiter, mit denen Krajinski die Stadtverwaltung ins digitale Zeitalter führen soll.

Ein Zufallsfund der Telekom stellt 1991 für die Abteilung erste Weichen. Es wird eine alte Direktkupferleitung zwischen Magdeburg und Braunschweig entdeckt und wieder eingerichtet. Für Magdeburg ein Segen, denn nun sind die Fahrten mit den Geschäftsbüchern der Stadt Magdeburg in die niedersächsische Partnergemeinde weniger oft notwendig. Was auf der einen Seite abnimmt, nimmt auf der anderen Seite rasant zu.

Die Fachabteilung Informations- und Kommunikationstechnologie wächst personell mit ihren Aufgaben. Damit wird die räumliche Enge zunehmend zum Problem. 1995 zieht Krajinskis Abteilung zum ersten Mal um und belegt die 5. und 6. Etage des Rathausgebäudes Am Katzensprung 2. Kurze Zeit später kommt auch die 3. Etage dazu. Jetzt sind es schon fast 40 Mitarbeiter.

Um den rasanten Wechsel von der „Karteikartenverwaltung“ zum modernen Rathaus mit Personal Computern und Rech-enzentrum zu meistern, geht Magdeburg 1991 einen Vertrag mit der „Datenverarbeitungszentrale Südostniedersachsen“
(KDSON) ein. Das Unternehmen mit Sitz in Braunschweig berechnet u.a. Wohngeld oder Rettungsgebühren in Magdeburg. Die ersten PCs halten Einzug in die Stadtverwaltung. Jetzt werden die langen Papierlisten von Disketten abgelöst, um den Großrechner BS 2000 in Braunschweig zu füttern.

So dankbar die Magdeburger für die Hilfe der niedersächsischen Nachbarn in den ersten Jahren auch sind, so schnell erwacht auch Kritik und eigenes Selbstbewusstsein. Krajinski und die eigens gebildete Arbeitsgruppe des Stadtrates ahnen, dass das enge Miteinander kein dauerhaftes Modell ist. Sensible Daten will man nicht für alle Ewigkeit in Niedersachsen wissen. Die Arbeitsgruppe, in der mit Hans-Werner Brüning (PDS), Alfred Westphal (Grüne), Rainer Nitzsche (CDU) und Lutz Trümper (SPD) die Politgrößen der Nachwende-Ära sitzen, macht Druck zu mehr Eigenständigkeit. Regina Haase, von 1996 bis 2014 als Controllerin und später Kaufmännische Leiterin und Prokuristin in der IuK und KID tätig, erinnert sich: „Bis 1998 haben wir nach und nach die fünf großen Fachverfahren Einwohnermeldewesen, Finanzwesen, Ordnungsangelegenheiten, Personalwesen und Kfz.-Verfahren von der KDSON aus Braunschweig auf unseren eigenen Großrechner nach Magdeburg zurückgeholt. Das war politischer Wille.“

Das große Ziel – alle Ämter auf eine Linie einzuschwören – wird mit dem Durchbruch der Personal Computer und der schrittweisen Inbetriebnahme des Glasfaserstadtnetzes erreicht. Zunächst ist geplant, Telefonie und Kommunale Datenverarbeitung bei den Städtischen Werken anzusiedeln. Schnell aber wird deutlich, dass die SWM und die eigens dafür gegründete Tochterfirma MDCC nur die Telefon- und Datennetze betreiben will, die Fach- und Amtsverfahren aber weiter von der Abteilung IuK betreut werden sollen. Ein weiterer Fallstrick: Gelsenwasser und Avacon halten 46 Prozent der SWM-Anteile, es ist also de facto ein Privatunternehmen. Krajinski: „Bei der Abstimmung im Stadtrat fällt dieses Modell 1998 durch. Wenn auch denkbar knapp.“

Stattdessen wird zum 1. Januar 1999 die „Kommunale Informationsdienste Magdeburg GmbH“ (KID) gegründet. Hauptgesellschafter ist die Stadt Magdeburg mit 70 Prozent, je 15 Prozent halten die KIV Gießen und die KGRZ Kassel, zwei kommunale IT-Dienstleister aus Hessen. Die KID übernimmt die Aufgaben der Abteilung IuK und baut das Magdeburger Datennetz weiter aus. Damit sinken die jährlichen Betriebskosten auf 3,6 Millionen DM, was beachtliche 1,3 Millionen DM weniger sind als die KDSON jährlich in Rechnung gestellt hat. Allerdings sind Anfangsinvestitionen von vier Millionen Mark notwendig. Roman Krajinski, nun KID-Geschäftsführer, erklärt, warum mit KIV und KGRZ zwei weitere Gesellschafter in die KID kamen: „In Gießen und Kassel wurde damals das in Salzburg entwickelte ,Betriebswirtschaftlich-Kamerale-Finanzverfahren’, kurz BKF, eingeführt. Das für uns maßgeschneiderte Programm wollten wir unbedingt für Magdeburg übernehmen – für uns ein Quantensprung.“

Fünf Jahre später, im Dezember 2003, wird Roman Krajinski vom Dekan der Fakultät für Informatik der TU Magdeburg, Prof. Dr. Franz Stuchlik, als „Pionier von eGovernment“ bezeichnet. In seiner Laudatio zu „5 Jahre KID Magdeburg“ bezeichnet er Krajinskis „Vision von der Digitalen Region“ als „Antwort auf die digitale Herausforderung“, mit der er „die gegebenen Grenzen einer Kommune überwand, um sich frühzeitig auf ein kooperatives Netzwerk von Stadt und Land zu orientieren.“ Krajinski sieht es eher bescheiden-pragmatisch: „Ich hatte Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.“

juj