71. Ausgabe, 4. Quartal 2018

Das größte Sortiment der Welt

Im Central Park wurde Jeff Bezos zum Internetpionier

Als „Quelle“ und „Neckermann“ noch dicke Kataloge vor die Wohnungstüren legen ließen, hatte ein pfiffiger Amerikaner die Idee, bei einem Sortiment die weltweit größte Auswahl anzubieten. Dafür kamen nur Bücher infrage, denn 1994 gab es davon über drei Millionen weltweit. Doch selbst die größten Buchhandlungen brachten es auf maximal 150.000 Titel. Der Internetpionier Jeff Bezos wurde mit „Amazon“ zum reichsten Mann der Welt.

Es ist das amerikanische Klischee, das Jeff Bezos bedient, wenn er die Geschichte von der Gründung seines Amazon-Imperiums zum Besten gibt. Denn offenbar kommen nicht nur den Helden in den Hollywood-Schinken die besten Ideen bei einem Spaziergang im New Yorker Central Park. Den durchschritt nämlich im Herbst 1993 Jeff Bezos mit seinem damaligen Chef David E. Shaw, der als Inhaber der Investmentfirma „New Yorker Vermögensverwaltungen Bankers Trust und D. E. Shaw & Co.“ steinreich war. In der grünen Lunge Manhattans wollte ihn Bezos von seiner Idee eines Online-Buchhandels begeistern. Doch Shaw sagte nur: „Das ist eine sehr gute Idee, aber es wäre eine noch viel bessere Idee, wenn du nicht schon einen guten Job hättest.“ Noch im selben Jahr kehrte Bezos seinem Chef und New York City den Rücken, um in Seattle mit seiner Frau das Abenteuer zu wagen, das sie zu Internetpionieren machen sollte.

Nachdem Jeff bei seinem Chef abgeblitzt war, erklärte er seiner Frau MacKenzie seine Idee, einen Buchhandel über das Internet zu betreiben. Das Vorhaben war mit vielen Risiken verbunden, mussten doch beide dafür ihre Top-Jobs an der Wall-Street an den Nagel hängen. Doch wie Frauen eben so sind; sie haben ein feines Gespür fürs Geschäft und einen guten Riecher. Obwohl MacKenzie 1994 das Internet noch nicht einmal kannte, stärkte sie ihrem Mann den Rücken und sagte: „Lass uns loslegen!“ Die Grundidee war, bei einem Sortiment die weltweit größte Auswahl anzubieten. Jeff Bezos hatte zunächst mehrere davon im Kopf. Die Kategorie Bücher wählte er nur deshalb aus, weil sie über mehr Produkte verfügte als jede andere. Über drei Millionen Buchtitel gab es zum damaligen Zeitpunkt, erinnerte sich Bezos unlängst bei einer Preisverleihung in Berlin: „Doch selbst die größten Buchhandlungen verfügten nur über maximal 150.000 Titel. Ich wusste, wenn ich die größte Auswahl der Welt bieten wollte, dann kam ich an Büchern nicht vorbei.“

Bezos Frau, heute Autorin, übernahm im ersten Jahr die komplette Buchhaltung für Amazon. Länger ging es auch gar nicht, denn der unerwartete Erfolg schrie förmlich nach Wachstum. Das Bestellvolumen der ersten 30 Tage überrannte die Bezos völlig. Die ersten Pakete brachte er noch selbst zur Post oder kniete stundenlang mit seinen wenigen Mitarbeitern auf dem Fußboden. Zunächst wollte der geizige Bezos Knieschoner kaufen, am Ende waren es ein paar Dutzend Packtische.

Nach einer beispiellosen Firmenentwicklung tauchten zwei Jahre nach Gründung die ersten Wolken am Horizont auf, als die riesige US-Buchhandelskette „Barnes & Noble“ ebenfalls einen Online-Buchshop startete. Den rund 30.000 Mitarbeitern hatte Amazon schlappe 120 entgegenzusetzen. Alle waren sich sicher, dass Amazon in wenigen Wochen pleite ist. Doch Bezos stellte sich vor sein Team und beschwörte es: „Fürchtet nicht die Konkurrenz, die schickt uns kein Geld. Fürchtet den Kunden – stellt sie nicht zufrieden, erfreut sie.“

Amazon hat letztlich gewonnen. Über 560.000 Mitarbeiter sind heute für den Amazon-Gründer tätig und erzielen einen Umsatz von über 178 Milliarden US-Dollar. Jeder weiß, dass Bücher nur noch ein kleiner Teil des großen Imperiums von Jeff Bezos sind. Amazon.com hat sich längst vom Internet-Buchhandel zum weltweiten Shopping-Phänomen entwickelt. Mit einem Vermögen von circa 150 Milliarden Dollar ist er heute nicht nur der reichste Mensch der Welt, sondern u.a. auch Besitzer der Washington Post und des privaten Raumfahrtunternehmens „Blue Origin“.

Geboren wurde Jeffrey „Jeff“ Preston Bezos am 12. Januar 1964 in Albuquerque, New Mexico, als Jeffrey Preston Jorgensen. Die Eltern ließen sich kurz nach seiner Geburt scheiden. Als Jeffrey vier Jahre alt war, heiratete seine Mutter Jackie den Exilkubaner Miguel „Mike“ Bezos. Die Familie siedelte nach Houston über, wo Jeffrey zunächst die River Oaks Elementary School in Houston und nach dem Umzug der Familie nach Miami die Miami Palmetto Senior High School besuchte. Von 1982 bis 1986 studierte er an der Princeton University Elektrotechnik und Informatik. Mit Bestnote erwarb Bezos 1986 den akademischen Grad Bachelor of Science. Danach arbeitete Bezos zunächst bei der taiwanischen Mobilfunkgesellschaft FITEL, dann bei den New Yorker Vermögensverwaltungen Bankers Trust und D. E. Shaw & Co.

Dort begann unsere Geschichte.

Autor: juj