
56. Ausgabe, 1. Quartal 2015
Herr Schmidt und die Hutschachtel
Kein Grund zum Ärgern
Josef Friedrich Schmidt erfindet auf einer Hutschachtel das beliebteste Brettspiel der Deutschen
Zahlreiche Erfindungen in den vergangenen Jahrhunderten haben die Welt verändert. In einer Serie erinnert der Server an Erfindungen, die das Leben der Menschen nachhaltig beeinflusst haben. In der 25. Folge erzählen wir die Geschichte von Josef Friedrich Schmidt (* 24. November 1871 in Amberg;
† 28. September 1948 in München). Um seine Kinder zu unterhalten erfand er das Spiel „Mensch ärgere dich nicht“.
Der Winter des Jahres 1907/1908 war kalt und grau und voller Tristesse. Auch im Hause Schmidt in der Münchner Lilienstraße hatten die Eltern Mühe, ihre drei Kinder Franz, Karl und Marta bei Laune zu halten. Draußen spielen konnten sie nur selten – die bittere Kälte verhinderte dies. Da erinnerte sich Vater Josef Friedrich Schmidt an seine eigene Kindheit, als er mit seinem Großvater stundenlang so ein komisches Spiel aus England gespielt hatte. Wie hieß das doch gleich? Ah ja, Ludo. Doch es war für Kinder ziemlich kompliziert, hatte Unmengen Regeln sowie taktische und strategische Variationen. Schmidt schnappte sich eine Hutschachtel und einen Bleistift und malte ein Spielfeld für vier Mitspieler auf. Er ließ alle Regeln und Finessen weg, sondern sorgte dafür, dass einfach nur vier Spielfiguren einmal im Kreis laufen und dann ins sichere Haus gebracht werden mussten. Fertig.
Sein erstes Spiel war aus ganz anderem Grund schwer – die Figuren bestanden aus Zinn (erst später fertigte Schmidt die Spiele aus Holz und Pappe). Stundenlang saß nun die Familie am Tisch in der winzigen Wohnküche und würfelte bis tief in die Nacht den Gewinner aus. Die Kinder sollen sogar vor Vorfreude auf den nächsten Tag kaum geschlafen haben. Im Hause Schmidt konnte der Winter fortan nicht lange genug dauern.
Josef Friedrich Schmidt beobachtete die Freude seiner Familie am neuen Spiel mit einer Mischung aus Verwunderung und Begeisterung: „Was uns so viel Freude bereitet, macht ganz sicher auch vielen anderen Menschen Spaß.“ 1910 überredete er seine Frau, ein paar Exemplare zu basteln und in der Nachbarschaft zu verkaufen. Man riss es ihnen aus den Händen. Inzwischen war auch ein Name für das Spiel gefunden: „Mensch ärgere dich nicht“ – in Anlehnung an das Hinauswerfen von Spielfiguren. Inzwischen sah Schmidts Stube aus wie eine Bastelkammer und der Hausherr, ein bisher mäßig erfolgreicher Händler am Viktualienmarkt, gründete die Firma „Schmidt-Spiele“. Ab 1914 ließ er sein Spiel in Serie produzieren.
Doch der Erfolg blieb aus. Alle Nachbarn, Freunde und Verwandten waren versorgt, hunderte Spiele stapelten sich in der kleinen Werkstatt. Schmidt fürchtete, auf den Schachteln sitzen zu bleiben und hatte erneut eine geniale Idee. 1914, im Ersten Weltkrieg, verschickte er 3000 Spiele an Lazarette, damit sich Soldaten die Langeweile vertreiben konnten. Die Soldaten waren begeistert, denn gleich nach dem Auspacken konnten sie die Anleitung wegwerfen – „Mensch ärgere dich nicht“ erklärt sich von selbst.
Als die Soldaten heimkehrten, brachten sie das Spiel mit in die Familien. Überall im Reich stieg die Nachfrage nach dem Spiel mit den Hütchen und dem Würfel. Schmidt konnte in seiner Werkstatt gar nicht so viele Tische aufstellen, wie er gebraucht hätte. Jetzt, in der Hochphase seiner Firma, klebten bis zu 50 Münchner Hausfrauen die berühmten Schachteln zusammen.
Der Siegeszug des Würfelspiels war nicht mehr aufzuhalten. 1920 verkaufte Schmidt eine Million Schachteln für jeweils 35 Pfennige. Seine Enkelin Anneliese Hahne erinnert sich: „Von diesem Erfolg war er selbst völlig überrascht. Er lief oft mit einem staunenden, ja glückseligen Gesichtsausdruck herum. Für ihn war das alles unfassbar.“
Josef Friedrich Schmidt starb am 28. September 1948 in München. Seine Firma geriet 1997 in Konkurs, woraufhin die Blatz-Gruppe die Rechte erwarb. Bis heute sind über 70 Millionen Exemplare des Spiels verkauft worden, aktuell etwa 100.000 Exemplare jährlich. Am 11. Februar 2010 gab die Deutsche Post AG zum 100. Jahrestag sogar eine Sondermarke zu 55 Cent heraus.
Auch international gelang der Durchbruch. In Frankreich nennt man das Spiel übrigens „T‘en fais pas“ („Mach Dir nichts draus“), in den USA heißt es „Frustration“, in Polen „Chiñczyk“ (wörtlich: Chinese) und in den Niederlanden „Mens, erger je niet“. In der DDR wurde es zwischen 1949 und 1989 mit der Variante einer Abkürzungs-Diagonalen und einem quadratischen Feld unter dem Titel „Raus!“ verkauft.
Auto: Jens-Uwe Jahns