64. Ausgabe, 1. Quartal 2017

Traumkarriere begann im Gefängnis

Die Geschichte von Werner von Siemens

Wenn wir heute das Licht anschalten, mit der Straßenbahn fahren oder mit dem Festnetz telefonieren, dann verdanken wir dies maßgeblich Werner von Siemens. Der Erfinder und Industrielle entdeckte das dynamoelektrische Prinzip und gilt als Begründer der modernen Elektrotechnik. Wir erzählen seine Geschichte, die mit dem frühen Tod der Eltern und einer Gefängnisstrafe beginnt.

Werner Siemens, 1842
Werner Siemens als Seconde-Lieutenant der preußischen Artillerie, 1842

Werner Siemens wurde am 13.12.1816 geboren auf dem Obergut in Lenthe. Er war das vierte Kind von elf Söhnen und drei Töchtern – allerdings starben drei der Kinder sehr früh. Siemens startete zäh ins Leben. Sein Abitur brach er ab, ein Ingenieur-Studium nahm er mit Rücksicht auf den elterlichen Geldbeutel nicht auf. Stattdessen ging er als Offiziersanwärter zur Armee. Seinem Wissensdrang ging er zeitlebens nach. Zeitzeugen erinnern sich, dass er nahezu jede freie Minute nutzte, um zu lesen, zu experimentieren und um sich zu bilden. Vor allem Physik, Chemie und Technik begeisterten ihn. Nach seiner Zeit in der Berliner Artillerie- und Ingenieurschule diente er als Leutnant Werner Siemens bis 1840 in Magdeburg, dann bis 1842 in der Lutherstadt Wittenberg. Hier unterstützte er als Sekundant ein Duell, was ihm fünf Jahre Festungshaft einbrachte. Um seine Geschwister nach dem Tod der Eltern 1839 und 1840 versorgen zu können, wurde er Erfinder im Nebenberuf. Geldnot als Antrieb für immer neue Entwicklungen und Patente. Und als Schmiermittel des Lebens; bereits 1842 wurde er begnadigt und zur Artilleriewerkstatt in Berlin versetzt.

Um die Geschwister zu versorgen, erfand er weiter wie am Fließband praktische Dinge, die sich schnell in Bares umwandeln ließen. So entstanden eine Kunststeinpresse, ein Dampfmaschinenregler oder ein neues Druckverfahren. Als er eine Methode für galvanische Vergoldung und Versilberung erfand, brachte ihm das 1841/42 sein erstes Patent ein. Seitdem gilt er als Begründer der Galvanotechnik. Das Patent verkaufte sein Bruder Wilhelm an einen englischen Juwelier.

Während Wilhelm für immer nach England ging, gelang es Werner Siemens, aus Magdeburg heraus und endgültig nach Berlin zu kommen. Hier gab es schon mehrere Maschinenfabriken, an ihrer Spitze das Lokomotivbauunternehmen von August Borsig. Dessen Maschinen hatten sich bei Vergleichsfahrten sogar als zuverlässiger erwiesen als die englischen. Berlin war für einen wie Siemens das reinste Paradies: Die Stadt hatte eine Gewerbeschule, einen Polytechnischen Verein und eine Physikalische Gesellschaft. Der berühmte Naturforscher Alexander von Humboldt hielt hier seine unnachahmlichen Vorträge. Der Welt schien es, als interessierte sich ganz Berlin für Naturwissenschaft und Technik.

Maschinentelegraph
Maschinentelegraph

Und Siemens nutzte den Kaffeesatz der Stadt mit all ihren unglaublichen Möglichkeiten für die eigene Fortbildung. Als er selbst in der Physikalischen Gesellschaft einen Vortrag über elektrische Telegrafen hielt, wurde der Universitätsmechaniker Halske auf ihn aufmerksam. Der wiederum war ein Meister und wahrer Künstler in seinem Fach und nach dem Vortrag restlos begeistert von den von Werner Siemens entworfenen Zeigertelegrafen. Halske überzeugte Leutnant Siemens am Kneipentisch, mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Halske arbeitete ohne Pause und entwickelte in den folgenden Monaten alle Einzelteile, die für eine brauchbare Nachrichtentechnik nötig sind: Blitzsicherungen, Porzellanisolatoren und mit Guttapercha, einem gummiartigen Pflanzensaft, nahtlos isolierte unterirdische Leitungen. Am 1. Oktober 1847 gründete das Duo die „Telegraphenbau-Anstalt von Siemens und Halske“. Bemerkenswert dabei ist, dass Siemens im Hauptberuf immer noch Offizier blieb.

Es dauerte nicht lange, da gab es die ersten Aufträge für die junge Firma. Der größte und bedeutsamste war die Verlegung der ersten europäischen Telegrafenleitung – nämlich von Berlin nach Frankfurt. Als hier die Nationalversammlung den preußischen König zum deutschen Erbkaiser wählte, war das in derselben Stunde noch in Berlin bekannt. Die Menschen staunten Bauklötzer und Werner Siemens war über Nacht so etwas wie ein deutscher Held.

Nun konnten sich die beiden vor Aufträgen kaum noch retten. Nicht nur überall in Deutschland, sondern dann auch in Russland, wohin es Werners jüngeren Bruder Carl verschlagen hatte. Erst jetzt, nach immerhin 15 Jahren in Uniform, ließ sich Werner Siemens vom Militär beurlauben, um sich den Aufträgen und weiteren Verbesserungen und Erfindungen zu widmen. Sie waren, ebenso wie die erstklassige Arbeit seiner Werkstatt-Mitarbeiter, beste Werbung. Siemens Selbstverständnis lag ohnehin nie darauf, sein Geld mit einmal Erfundenem zu verdienen,  sondern seine Erfindungen und Produkte immer weiter zu entwickeln. Auf der ersten Weltindustrieausstellung 1851 in London erhielt er für seine bewährten Telegrafen neben Alfred Krupp und einigen anderen die höchste Preismedaille. Das gab seinem Unternehmen einen weiteren Aufschwung. Er und Halske mussten aus der immer kleiner werdenden Werkstatt in eine Fabrik umsiedeln.

In den nächsten zwei Jahren bauten die Brüder Carl und Werner Siemens Telegrafenlinien von Petersburg über Moskau und Kiew nach Odessa und von Petersburg nach Warschau und Schlesien, nach Finnland und Kronstadt. Dabei musste ein Kabel durch die Ostsee gelegt werden. Zusammen mit Wilhelm und Carl als „Siemens Brothers“ bewältigte der Erfinder später die Riesenstrecke London-Kalkutta in Indien. Für diese Indo-Europäische Linie von fast 11000 Kilometer Länge entwickelte er neue, noch bessere Schreibtelegrafen. Über Kontinente und Meere, Gebirge und Steppen arbeiteten sich die Bautrupps vor, wurden die eisernen Leitungsmasten befördert. Auch der Ozean war nun kein Hindernis mehr, das nicht zu überwinden war. Von Irland nach New York wurde ein Transatlantikkabel gelegt. Dazu ließ Siemens ein eigenes Kabelschiff bauen, die „Faraday“.

Kabelschiff „Faraday“
Kabelschiff „Faraday“

Der Name Siemens wurde zur Weltmarke.

Für die Stahlgewinnung erfanden die Brüder das Siemens-Martin-Verfahren. Für den Bergbau gedacht wurde eine elektrische Eisenbahn konstruiert und auf der Berliner Gewerbeausstellung vorgeführt. Begeistert unternahmen 10000 Besucher eine Fahrt damit. Auch die von ihm entwickelten Lichtmaschinen wurden bald zu einem ganz großen Geschäft. Glühlampen eroberten mit ihrem hellen Licht die Städte und wurden schon bald im Bergbau eingesetzt. In Berlin gab es wenig später elektrische Straßenbeleuchtung und Straßenbahnen. Seit 1877 wurden in Berlin die ersten Fernsprecher aufgestellt, die Siemens produzierte – und zuerst als technische Spielerei abgetan. Aber Siemens hatte, wie schon beim Telegrafen, das enorme Informationsbedürfnis der Zeit vorausgesehen.

1885 waren bei Siemens in Berlin 1100 Arbeiter beschäftigt. Die „Berliner Schnauze“ betitelte bald einen ganzen Stadtteil mit „Siemensstadt“. Das schmeichelte Siemens sehr und so fühlte er sich den Arbeitern seines Werkes gegenüber zunehmend verpflichtet. Er schuf, viel früher als der Staat, eine Pensionskasse, die für Krankheit, Unfälle und den Lebensabend aufkam. Einer seiner bekanntesten Sätze in diesem Zusammenhang wird bis heute oft zitiert: „Mir würde das verdiente Geld wie glühendes Eisen in der Hand brennen, wenn ich treuen Gehilfen nicht den erwarteten Anteil gäbe.“

Auf der Weltausstellung der Elektrotechnik 1881 in Paris erhielt das Haus Siemens das Ehrendiplom. Werner Siemens erhielt zahlreiche Preise, Anerkennungen und Ehrungen. So bekam er unter anderem ein Ehrendoktor-Diplom und wurde Mitglied der Akademie der Wissenschaften. 1888 bekam er den Adelstitel. Seither hieß er Werner von Siemens. Er starb am 6.Dezember 1892 in Berlin.

Autor: juj