71. Ausgabe, 4. Quartal 2018

Das machen wir in Zukunft anders

Onlinezugangsgesetz: Der Weg zum nutzerfreundlichen Portal-Verbund führt über die Bereitschaft zur Veränderung

2017 ist das „Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen“, kurz: Onlinezugangsgesetz (OZG), verabschiedet worden. Binnen fünf Jahren, also bis 2022 sollen Bund und Länder ihre Verwaltungsportale zu einem Portalverbund verknüpfen und dort alle Dienstleistungen online anbieten. Die „Kunden“ (Bürger und Unternehmen) sollen über jedes Portal Zugang zu allen angebotenen Verwaltungsleistungen erhalten, um ihre Anliegen online erledigen zu können.

 

„Es ist ein riesiges Koordinierungsthema“,

Frank Bonse
Frank Bonse, Referatsleiter im Ministerium der Finanzen Sachsen-Anhalt

sagt Frank Bonse, Referatsleiter im Ministerium der Finanzen Sachsen-Anhalt,

„ich sehe das als die größte Herausforderung für die Verwaltung nach der Wiedervereinigung.“

Bundesweit sollen 575 bisher isolierte Online-Verwaltungsdienste zusammengeführt werden: Bescheide werden online verschickt, Gebühren online bezahlt, über ein einziges Nutzerkonto sollen Bürger und Unternehmen über kommunale und sogar Bundesländergrenzen hinweg ihre Anliegen nach dem Once-Only-Prinzip regeln können – ohne immer wieder dieselben Daten einreichen zu müssen. Das entlastet in Zukunft sowohl Verwaltungen als auch Nutzer von Bürokratie. Das hört sich gut an, doch auf kommunaler Ebene herrscht Unsicherheit:

„Es ist überhaupt nicht klar, auf welche Weise das im Land umgesetzt werden soll und was dabei auf die Städte und Gemeinden zukommt“,

sagt Jürgen Leindecker, Landesgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Sachsen-Anhalt e.V.

„Die Digitalisierung gibt uns die Chance, Arbeitsprozesse und Arbeitsweisen zu hinterfragen“,

Andreas Brohm
Andreas Brohm, Bürgermeister der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte

stellt Andreas Brohm fest. Er ist Bürgermeister der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte, zu der 32 Orte gehören.

 

Wichtige Vorarbeiten wurden mit dem OZG-Umsetzungskatalog geleistet. Anknüpfend an den Leistungskatalog der Öffentlichen Verwaltung (LeiKa) wurden in dem 268 Seiten starken Werk die 575 Verwaltungsleistungen erfasst. Behörden-Webseiten wurden analysiert, Workshops durchgeführt und Experten befragt. Und schließlich wurden die Verwaltungsleistungen in insgesamt 35 Lebenslagen von Bürgern sowie 17 Geschäftslagen von Unternehmen gebündelt. Diese wiederum wurden 14 Themenfeldern zugeordnet wie zum Beispiel „Familie & Kind“ oder „Unternehmensführung & -entwicklung“. Auf dieser Grundlage soll das OZG systematisch und nutzerfreundlich umgesetzt werden.

„Die eigentliche Herausforderung besteht darin, die hinter den Verwaltungsleistungen liegenden Arbeitsprozesse zu verschlanken und zu digitalisieren“,

Prof. Dirk Furchert
Prof. Dirk Furchert, Institutsleiter SIKOSA Studieninstitut

betont Professor Dirk Furchert, Geschäftsführer der SIKOSA Beratungsgesellschaft mbH. „Die Verwaltungen brauchen diese Veränderungen, um zukunftsfähig zu sein. Die Vielfalt an Fachanwendungen bei der Bereitstellung einer Vielzahl von kommunalen Dienstleistungen ,von der Wiege bis zu Bahre‘ ist durchaus eine technische Herausforderung. Eine andere, viel größere, besteht darin, die Prozesse zu optimieren und die Mitarbeiter, die diese Dienstleistungen erbringen, auf diesem Weg mitzunehmen.“ Hier gelte es, aus den Fehlern der EU-Dienstleistungsrichtlinie zu lernen, wo eher „schaufensterhaft“ vorgegangen wurde, so Furchert. Dieses Mal sollte die Chance genutzt werden, innerhalb der Verwaltungen auch tatsächlich Veränderungen zu erreichen. „Gern bringen wir dabei unsere Erfahrungen ein und unterstützen in diesem Wandel die Kommunen unseres Landes und insbesondere die Mitglieder der KITU.“

Bei der bundesweiten Arbeitsteilung wurde dem Land Sachsen-Anhalt die Federführung auf dem Themengebiet Bildung übertragen. Es umfasst knapp 100 Leistungen in 37 Leistungsbündeln in den vier Lebenslagen Schule, Berufsausbildung, Studium und Weiterbildung. Sachsen-Anhalt arbeitet mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zusammen und wird außerdem vom Bund über beauftragte Dienstleister unterstützt.

„Wir wollen das umfangreiche Aufgabenspektrum gemeinsam aufarbeiten und haben Prioritäten festgelegt“,

informiert Frank Bonse. Der Anfang wird mit dem Thema BAföG gemacht. „Wir sind dabei, vorhandene online-Anwendungen zu erfassen, den Standard zu erheben, ein Konzept auszuarbeiten und Schnittstellen zu schaffen.“ Wichtig sei ein planvolles Vorgehen. „Aktionismus ohne Orientierung, wo wir ankommen wollen, bringt uns nicht weiter“, warnt Bonse. Das Onlinezugangsgesetz fordere von allen Akteuren ein Umdenken. „Wir müssen vom verwaltungsorientierten Zweckdenken zum Nutzerdenken kommen.“ Das bedeutet unter anderem, Verfahren zu „entkomplizieren“, Informationen aus verschiedenen Registern erreichbar zu machen, Nutzerkonten rechtssicher zu gestalten und die Identifizierung der Personen, die das jeweilige Angebot abfragen, zu gewährleisten.

„Wir warten darauf, dass uns das Land mit dem E-Governmentgesetz den Auftrag erteilt, dass wir den Kommunen und Landkreisen Basiskomponenten zur Verfügung stellen können“,

sagt Frank Bonse. Zwar sei noch nicht klar, für welche Maßnahmen wieviel Geld zur Verfügung stehe, aber „wir lassen die Kommunen nicht im Regen stehen“, versichert er. Wichtig sei es, in diesem Prozess die Menschen mitzunehmen.

„Um zügig voranzukommen, suchen wir den Schulterschluss mit den Willigen in den Kommunen, um gemeinsam praktikable Lösungen hinzubekommen“,

so der Referatsleiter, der darauf setzt, dann mit guten Ergebnissen auch die Skeptiker mitzuziehen. „Mit das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht kommen wir nicht weiter, wir müssen die verwaltungsinterne Veränderungsbereitschaft aktivieren, anders geht es nicht.“

„Das sind für die Kommunen tiefgreifende Veränderungsprozesse“,

stellt Bürgermeister Andreas Brohm fest. Grund ist das hohe Gut des Selbstverwaltungsrechts, da hat jeder seine Entscheidung treffen können, ohne auf den anderen zu schauen, das macht bei digitalen Prozessen keinen Sinn.

Bisher werden Originalformulare mit Unterschrift benötigt, künftig wird es rechtssichere digitale Formulare geben. Bisher mussten sich die Kunden mit ihren Anliegen an die jeweils zuständigen Stellen wenden, nun ändern sich diese Kundenbeziehungen. „Wichtig sind nicht mehr Sprechzeiten, sondern wir können andere Zeitmodelle finden, auch das Arbeiten von zu Hause wird so möglich und der Bürger kann dennoch bedient werden. Wichtig ist, dass uns allen klar ist: Digitalisierung ist ein Veränderungsprozess, ein positiver. Je aktiver wir diesen Prozess gestalten, umso eher sehen wir Vorteile und positive Effekte“, so Brohm.

„Wir müssen alle umdenken, das wird anstrengend. Aber angesichts des demografischen Wandels in unseren Belegschaften und des drohenden Wissensverlusts ist es besonders wichtig, digitale Lösungen in den Verwaltungen zu implementieren. Es ist hilfreich, dass wir Kommunen mit dem SIKOSA e. V. einen Partner haben, der den Veränderungsprozess bei den Organisationsstrukturen und im Personalmanagement begleiten kann. Auch die KITU wird als Dienstleister für die Mitgliedskommunen wichtiger denn je. Ich sehe die Genossenschaft in der Verantwortung, wenn es darum geht, Standards festzulegen und die Verwaltungen bei der OZG-Umsetzung zu unterstützen“, betont Andreas Brohm. Und an die Adresse der Landesregierung richtet er die Bitte um Hilfe und Begleitung in diesem anspruchsvollen Prozess.

„Die Kommunen haben nicht die Ressourcen, dieses Thema aus eigener Kraft zusätzlich zum Tagesgeschäft zu stemmen.“

Wesentlich sei dabei auch eine gerechte Verteilung der finanziellen Lasten zwischen Bund, Ländern und Kommunen, hier mangele es an Konnexität.

Dr. Michael Wandersleb
Dr. Michael Wandersleb, Vorstandsvorsitzender der KITU und Geschäftsführer der KID Magdeburg

„Je näher das Ende der Frist zur Umsetzung rückt, desto stärker wird der Fokus darauf liegen, die Kommunen zu monitoren, wer welche und wieviele Services online gestellt hat. Dass die Kommunen – auch auf Grund der unterschiedlichen Vorarbeiten von Bund und Ländern – unter erschwerten Bedingungen starten mussten, wird dann leider keine Rolle mehr spielen.“

Autor: bek