
72. Ausgabe, 1. Quartal 2019
Dig, Dig, Digital: Die Uhr tickt für die Stadt der Zukunft
Wer smart sein will, muss digital sein. Städte im Wettbewerb um Köpfe, Herzen und Werkbänke.
Der Duden beschreibt smart als „modisch elegant, schneidig, clever“. Attribute, mit denen sich jeder gern schmückt. Mit „Smart Cities“ ist ein Schlagwort gefunden, dass die Digitalisierung des städtischen Lebens beschreibt. Im Wettlauf um Einwohner und den Titel als „smarteste“, sprich cleverste, Stadt der Region wandeln längst alle Kommunen auf digitalen Pfaden. Als Vorbild steht Darmstadt, d i e digitale Vorzeigestadt für Deutschland und Europa. Die „Server“-Redaktion beleuchtet den Stand der Dinge und sagt, wie gut unsere beiden großen Städte Halle und Magdeburg im smarten Rennen liegen.
In Magdeburg gibt es Smart-Banks, auf denen man sitzen, frei chatten und sein Handy aufladen kann. Haldensleben im Landkreis Börde erarbeitet eine Digitale Agenda, im Jerichower Land funktioniert das Internet an Schulen hervorragend und in Halle will eine Wohnungsbaugenossenschaft „Zusammenleben 4.0“ ermöglichen. Es gibt Apps für Touristen in Magdeburg („Machdeburg-App“), für Falschparker und Schlaglöcher („Sachsen-Anhalt-Melder“, „MD-Melder“), für Funklöcher („Funkloch-App“), für die Straßenbahn („M.app“ in Halle, „easy.go“ in Magdeburg), für Bus und Bahn („INSA“) und sogar für die Stadtbibliothek („On-leihe “). Wer etwas auf sich hält, hat eine App. Der FCM hat ebenso eine wie der HFC, die Stadtwerke in Halle („Mein Halle“) ebenso wie in Magdeburg („SWM“). Dahinter steckt immer eine smarte Idee, die das Leben leichter machen soll.
Smart liegt zwar im Trend, doch allmählich wird es unübersichtlich. Wie wird aus all den vielen pfiffigen Vernetzungen im Internet der Dinge eine ganzheitlich schlaue Stadt, Region oder auch nur ein smartes Stadtviertel? Zweifellos gibt es feine Ideen an jeder Ecke, aber irgendwie wirken sie meist eher klein und alles andere als ein großer Wurf. Und was ist das überhaupt, diese „Smart City“? Im Kern geht es immer um Ressourceneffizienz, um höhere Lebensqualität, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und die Fähigkeit Krisen zu meistern. Möglich machen soll das der Einsatz moderner Technologien. Mit Hilfe innovativer Kommunikationssysteme und digitalen Steuerungssystemen sollen intelligente Lösungen für die unterschiedlichen Bereiche der Stadtentwicklung erarbeitet werden. In der Praxis wird dabei meist das Verbauen von Sensoren in Asphalt, Straßenlaternen, Wasserrohren oder Autos verstanden. Aber es ist viel viel mehr.

Die Bundesregierung müht sich, den Takt vorzugeben. Minister Altmaier predigt, dass die Bundesregierung bis Ende 2022 immerhin 575 Behördengänge („Verwaltungsleistungen“) digitalisieren lassen will. Das klingt gut und modern, wenn dies denn auch bedeuten würde, dass mit der steinzeitlichen Nummernzieherei im Meldeamt Schluss wäre. Vielen aber fehlt der Glaube, dass ohne ordnende Hand am Ende nur Stückwerk übrig bleibt. Wohl deshalb hat der Digitalverband Bitkom mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund den Aufbau einer digitalen Vorzeigestadt für Deutschland und Europa gestartet. Am Ende des mehrjährigen Wettbewerbs hat sich Darmstadt durchgesetzt. Seit Sommer 2017 demonstriert sie, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte – auf Basis modernster Telekommunikations-Infrastruktur und durch innovative Lösungen in den Bereichen Energie, Verkehr, Verwaltung, Gesundheit, Bildung, Handel, Sicherheit und Gesellschaft. Lebenswert, effizient und nachhaltig. In 14 Projektbereichen profiliert sich die „Digitalstadt Darmstadt“, alimentiert mit vielen Millionen öffentlicher Mittel als Zukunftsmodell.
Der Start verlief ziemlich stringent, wie José David da Torre Suárez, Geschäftsführer der Digitalstadt Darmstadt GmbH, sagt. Ging auch nicht anders, denn vor dem Wunder steht das Handwerk. Zunächst musste eine notwendige Infrastruktur her. Daran scheitern viele – aus Kostengründen. Nicht so Darmstadt, das schnelles 4,5G-Mobilfunk- und Breitbandnetz ebenso bekam wie flächendeckendes WLAN in der City, das Funknetzwerk LoRaWAN für das Internet der Dinge sowie die Umsetzung vieler verschiedener Projekte in den 14 Projektbereichen. Ein Ethik- und Technologiebeirat wurde gegründet und vor jedem Projekt die eine Frage beantwortet: Wo liegt der Nutzen und Mehrwert für die Stadt und ihre Bürgerschaft?
Darmstadt hat bereits eine Menge von dem, von dem andere noch träumen: Intelligente Verkehrssteuerung durch die der Verkehr automatisiert, digital und in Echtzeit gesteuert wird. Das System nennt sich „UI! Traffic“ und erfasst über Videokameras die Verkehrsdichte und erkennt auch, wie viele Fußgänger die Straße überqueren wollen. Dementsprechend werden die 182 Ampeln des Stadt geschaltet.
Schon bald will die Stadt Straßenbeleuchtung, Müllentsorgung und die Carsharing nach Bedarf steuern. Sensoren an Straßenlaternen, Mülltonnen und städtischen Fahrzeuge erfassen die Daten. Digital soll es auch in Notfällen zugehen. Über Apps können kranke Darmstädter Medikamente aus der Apotheke ordern, online im Klinikum einchecken. Brände in städtischen Gebäuden soll ein Netzwerk an Sensoren frühzeitig erkennen und melden.
Auch Sachsen-Anhalts große Städte mühen sich um „Smartheit“. Durchaus mit ersten Erfolgen. Magdeburg zum Beispiel hat im Sommer 2017 bei der Online-Abstimmung zur smartesten Stadt Deutschlands („HRS City Voting: Meine smarte Stadt“) den 2. Platz von 44 Kommunen belegt und gehörte zu den drei Gewinnerstädten (Bremerhaven 11.452 Stimmen, Magdeburg 8.060 Stimmen, Kiel 5.992 Stimmen). Hinter dem HRS City Voting steht ein Kölner Hotelportal. Reisende konnten online die Städte beurteilen.
Zu den 166 Städten, die sich am bereits erwähnten Wettbewerb ‚Zukunftsstadt’ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bewarben, gehörten 2015 auch Magdeburg und Halle. Beide Städte schafften es mit ihren Konzepten („OTTOVision2030+“ bzw. „halle.neu.stadt-2050 – vernetzt, integriert, transformiert“) in die erste Wettbewerbsphase. Dann war für Magdeburg Schluss, Halle gelang mit noch 22 Städten der Sprung in Planungsphase 2. 18 Monate später war auch Halle nicht mehr unter den acht Städten in der finalen 3. Phase mit dabei. Die Umsetzung konkreter Vorhaben müssen beide Städte nun selbst stemmen.
Magdeburgs Wirtschaftsbeigeordneter Rainer Nitsche ist sich sicher, dass er sich mit „OTTOVision2030+“ von anderen Städten abhebt. Warum?
„Wir verfolgen einen ganzheitlichen, integrativen Ansatz. Im Fokus unseres Konzeptes stehen fünf Themenfelder: Mobilität/Verkehrsinfrastruktur, klimagerechte Stadt, Bauen/Wohnen/Quartiere, Future Urban Industries und Wissensstadt sowie Internationalisierung.“
An der „SmartCities“-Ausschreibung der Europäischen Union hat sich Magdeburg nicht mehr beteiligt. Grund: Es gibt seit 2011 eine Exklusivpartnerschaft mit der Deutschen Energie-Agentur (dena) zur Einführung eines kommunalen Energie- und Klimaschutzmanagemets.
Halle setzt darauf, dass es vielen Akteuren gelingt, Halle-Neustadt als einstige sozialistische Stadtutopie mit dem angrenzenden Technologiepark Weinberg Campus nebst Wohngebiet Heide-Süd zu einem der bedeutsamsten Nachwende-Konversionsprojekte in Ostdeutschland zu verbinden.
Bleibt die Frage, wo unsere beiden großen Städte mit ihren Projekten im Prozess stehen. Ein Urteil darüber hält die aktuelle Studie der Haselhorst Associates bereit. Für das „Digitale Städteranking Deutschland 2018“ wurden die 400 größten deutschen Städte und Kommunen hinsichtlich ihres Umsetzungsstatus in Sachen Smart City untersucht. Dabei ging es u.a. um den aktuellen Stand der digitalen Infrastruktur, von Lösungen für intelligente Strom-, Gas- und Wassernetze, Smart Mobility, Smart Government oder Smart Health. Die Studie berücksichtigt 31 Kriterien aus amtlichen Statistiken und verarbeitete über 14.000 Datensätze. Die Studie bietet auch verbindliche Informationen zum Status quo der digitalen Transformation im öffentlichen Sektor in Deutschland (siehe Interview auf Seite 11).
Hamburg (Digitalisierungsgrad 38 %), Köln (37 %), München (32 %), Bonn (28 %) und Darmstadt (28 %) weist die Studie als Spitzenreiter aus. Halle und Magdeburg kommen jeweils auf 14 %. Der Blick aufs Detail aber macht deutlich, warum Halle von 400 einen beachtlichen 47. Rang, Magdeburg Platz 57 belegt. Liegen beide Metropolen bei der Basis-Digitalisierung mit 27 % noch gleichauf, ist Halle bei der digitalen Infrastruktur doppelt so gut wie Magdeburg. Mit vernetzten Verkehrsmitteln wiederum kann Magdeburg punkten, bei Smart Energy- und Environment-Projekten hat Halle die Nase vorn. Bei allen anderen Kriterien liegen die Städte gleichauf (Gesundheit, E-Government und Bildung). Details kann man der Infografik entnehmen.
So spannend sich derlei Vergleiche lesen, so sehr sollten wir uns von ihnen nicht blenden lassen. Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, sagt zu Recht:
„Die Smarte Stadt ist weder Selbstzweck noch das neue Leitbild für die Stadtentwicklung. Digitalisierung, Vernetzung und Technik sind wichtige Hilfsmittel auf dem Weg zur nachhaltigen und lebenswerten Stadt. Nicht mehr und nicht weniger. Es geht immer um die Menschen, die in unseren Städten leben. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist letztlich sinnvoll und nachhaltig.“
juj