
64. Ausgabe, 1. Quartal 2017
Digitalisierung der Kommunen
Ergebnisse eines Studienprojekts zur Einführung einer elektronischen Rechnungsbearbeitung in Kommunen
Die elektronische Bearbeitung von Rechnungen wurde von der ehemaligen Chief Information Officer der Bundesregierung, Claudia Rogall-Grothe, als „Meilenstein des E-Governments in Deutschland und Europa“ bezeichnet. Durch die Digitalisierung könnten Aufwände zur Bearbeitung von Rechnungen um nahezu 80 % reduziert und zusätzlich Tonnen von Papier eingespart werden, so die einschlägigen Prognosen. Folgerichtig verpflichtet die EU-Richtlinie 2014/55/EU alle öffentlichen Auftraggeber, elektronische Rechnungen anzunehmen und die elektronische Verarbeitung von Rechnungen bis 2020 als vorherrschende Methode einzuführen. Mit dem E-Government-Gesetz und dem Steuervereinfachungsgesetz sind wesentliche Grundlagen für die Umsetzung in deutschen Verwaltungen geschaffen. Es liegt also nahe, der Frage nachzugehen, wie eine typische deutsche Kommune ihre Rechnungsbearbeitung digitalisieren könnte.
In einem einjährigen Projekt haben Studierende des Masterstudiengangs Public Management am Fachbereich Verwaltungswissenschaften der Hochschule Harz, gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadt Haldensleben (ca. 20.000 Einwohnerinnen und Einwohner) und mit Unterstützung der KITU eG daran gearbeitet, die notwendigen Veränderungen bei der Implementierung eines elektronischen Kreditoren-Workflows zu verstehen, ein Vorgehensmodell zu entwickeln und den Nutzen einer elektronischen Rechnungsbearbeitung abzuschätzen. Dazu wurden nicht nur die Prozesse und Strukturen in der Stadtverwaltung Haldensleben im Detail untersucht, sondern auch drei weitere Kommunen zu ihren Erfahrungen bei der Einführung entsprechender Lösungen befragt und umfangreiche Literatur ausgewertet.
Referenz für das Projekt war dabei ein möglicher zukünftiger Prozess, in dem Papierrechnungen bei Eingang in der Verwaltung gescannt und dann ausschließlich elektronisch – in diesem Fall mit der Software newsystem der Axians Infoma GmbH – weiterverarbeitet werden; selbstverständlich ließen sich mit diesem Prozess auch elektronische Rechnungen der üblichen Standards medienbruchfrei verarbeiten.

Nutzen
Prozessmodellierung und Zeitmessungen im Rahmen teilnehmender Beobachtungen in Haldensleben ergaben für den konventionellen Papier-Prozess eine durchschnittliche Netto-Gesamtbearbeitungszeit von ca. 10 Minuten für Rechnungen ohne Prüfung durch das Rechnungs-Prüfungsamt und zeitlichen Aufwand für die Anlagenbuchhaltung. Auf Basis der Arbeitsplatzkostentabelle der KGSt ergeben sich Bearbeitungskosten von ca. 6,50 € pro Rechnung, mithin, bei ca. 25.000 Rechnungen, Gesamtkosten für die Rechnungsbearbeitung von mindestens 160.000 € p.a.
Durch sinkenden zeitlichen Aufwand für die manuelle Erfassung und Prüfung von Rechnungsdaten, die Reduzierung von Wegzeiten und verschiedene Optimierungen des Gesamtprozesses und verbesserte Recherchemöglichkeiten, ergaben sich für den Referenzprozess mögliche Einsparungen von maximal ca. 30 % des zeitlichen Aufwands.
Eine Wirtschaftlichkeitsanalyse wurde mit Hilfe der Kapitalwertmethode über einen zehnjährigen Zeitraum für drei Szenarien durchgeführt, in denen 30 %, 15 % und ca. 7 % des heutigen zeitlichen Aufwands eingespart werden. Unter Berücksichtigung von Umstellungskosten und weiteren mit der Investition in den elektronischen Kreditoren-Workflow verbundenen Ressourcenverbräuchen ergibt sich ein positives Ergebnis für das 30 %- und das 15 %-Szenario. Das heißt, dass die Einführung eines elektronischen Rechnungsworkflows im Beispiel der Stadt Haldensleben dann wirtschaftlich wäre, wenn mindestens 15 % des heutigen Bearbeitungsaufwands auch eingespart werden könnten, wobei Einsparungen von maximal 30 % auf Basis der im Projekt erhobenen Daten realisierbar wären. Die Einführung eines im Rahmen des Projektes genauer beschriebenen elektronischen Rechnungsworkflows ist also im Hinblick auf die vom Gesetzgeber geforderte wirtschaftliche Aufgabenerfüllung in Verwaltungen zu empfehlen.
Die zusätzlich befragten Kommunen berichteten von Effekten, die im Rahmen der durchgeführten Wirtschaftlichkeitsanalyse nicht berücksichtigt wurden, wie zum Beispiel einer Erhöhung der Prozesssicherheit, verbesserter Skontonutzung, eines optimierten Liquiditätsmanagements, verbesserter Transparenz über eingegangene Rechnungen und einfacherer Recherchemöglichkeiten. Auch ist es möglich, Debitorenprozesse ebenfalls über den elektronischen Workflow abzuwickeln. Eine Kommune gab an, unter anderem deshalb auf eine Wirtschaftlichkeitsanalyse verzichtet zu haben, weil die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen an sich einen Wert darstelle und ohnehin notwendig sei.
Berücksichtigt man alle Argumente, so kann auf Basis unserer Daten davon ausgegangen werden, dass die Implementierung eines elektronischen Rechnungsworkflows, zumindest in Kommunen der untersuchten Größenordnung mit 25.000 und mehr Kreditorenrechnungen pro Jahr, wirtschaftlich ist und entsprechende Investitionen sich nach drei bis fünf Jahren amortisieren.
Notwendige Veränderungen
Die beschriebenen Einsparungen können nur dann realisiert werden, wenn die am Prozess beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine rein elektronische Bearbeitung akzeptieren und die wesentlichen, durch die Software zur Verfügung gestellten Unterstützungsmöglichkeiten auch genutzt werden können. Letzteres erfordert eine Pflege der verfügbaren Kreditoren-Stammdaten und eine gewisse Disziplin der Rechnungssteller, die aber schrittweise gefördert werden kann. Probleme in der Akzeptanz elektronischer Geräte oder neuer Verfahren sind in allen Verwaltungen bekannt und auch für die Einführung eines elektronischen Rechnungsworkflows erfolgskritisch. Die befragten Kommunen haben gute Erfahrungen mit intensiven Support-Maßnahmen, insbesondere im ersten Monat der Einführung, gemacht. Kleinere Umstellungen des bisherigen Prozesses werden in der Regel notwendig sein, bringen aber kaum spürbare Nachteile für die Beschäftigten. Für umfangreichere Rechnungen zum Beispiel zu Baumaßnahmen und einige Spezialfälle muss eventuell eine Bearbeitung von ausgedruckten Rechnungen in Papierform möglich sein. Diese werden nach Prüfung oder Korrektur eingescannt und sind dann wieder elektronisch verfüg- und bearbeitbar.
Mit Blick auf die Erfahrungen aus allen Kommunen scheint ein wichtiger Faktor für den Erfolg die interne Verfügbarkeit ausreichender Prozessmanagement- und IT-Kompetenzen zu sein, die es erlauben, die Konfiguration des elektronischen Workflows transparent zu halten und – soweit notwendig – schnell anzupassen. Es ist nachvollziehbar, dass Führungskräfte und Beschäftigte aus Kämmereien und Finanzbereichen nur dann eine treibende Rolle übernehmen können, wenn sie nicht das Gefühl haben, die Kontrolle über ihren Prozess zu verlieren.
Vorgehensmodell zur Einführung
Auf Basis der vorliegenden Erfahrungen scheinen die anfangs zitierten hohen Erwartungen von bis zu 80%igen Reduzierungen der Aufwände im kommunalen Bereich schwierig zu realisieren. Allerdings könnten elektronische Rechnungsworkflows einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung des internen Aufwands im Finanz- und Rechnungswesen kommunaler Verwaltungen und damit letztlich auch zur notwendigen Konsolidierung der kommunalen Finanzen leisten.
Zu bezweifeln ist allerdings, ob mittlere und insbesondere kleine Kommunen eine Digitalisierung ihrer Kreditoren- und Debitorenprozesse mit den vorhandenen Mitteln innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre werden leisten können. Kritisch scheinen dabei weniger die notwendigen finanziellen Mittel als vielmehr die Verfügbarkeit von speziellen Kompetenzen in den Bereichen Projekt-, Change-, Prozess- und IT-Management. Auswahl, Beschaffung und insbesondere Implementierung von IT-Systemen zur elektronischen Rechnungsbearbeitung sind anspruchsvolle und komplexe Aufgaben. Das Fehlen von Kompetenzen in diesen Bereichen kann nur teilweise und dann mit hohen Kosten durch externe Unterstützung kompensiert werden. Hinzu kommt, dass die Einsparungen vermutlich überproportional mit der Größe der Verwaltung sinken, weil kleinere Verwaltungen ohnehin nicht nur weniger Rechnungen, sondern auch weniger Außenstellen, kürzere Wege und weniger Dienstleister und Lieferanten haben.
Wie auch bei vielen anderen IT- und E-Government-Projekten wäre auch im Fall der Implementierung von elektronischen Rechnungsworkflows eine breit angelegte interkommunale Zusammenarbeit ein effizientes und möglicherweise das einzige erfolgversprechende Vorgehen. Eine breite Zusammenarbeit von Kommunen bietet sich in diesem Bereich insbesondere auch deshalb an, weil Kreditoren- und auch Debitorenprozesse in den Kommunen des Landes kaum größere Unterschiede aufweisen dürften. Wesentliche Strukturen dieser Prozesse sind gesetzlich, insbesondere durch die GemKVO (DOPPIK), vorgegeben und kleinere Optimierungen der Papierprozesse wären ohnehin notwendig. Es wäre zu hoffen, dass die Synergien einer einheitlichen Lösung möglichst schnell deutlich werden. Dazu müssten allerdings die Anbieter entsprechender Lösungen auch bereit sein, stärker standardisierte Angebote zu unterbreiten und gemeinsame Projekte von Kommunen entsprechend zu unterstützen. Kommunen, die den mittelfristig absehbaren Mangel an Fachkräften im Blick haben, würden darüber hinaus mit elektronischen Rechnungsworkflows in die Lage versetzt, neue Formen interkommunaler Zusammenarbeit im Finanzbereich zu realisieren. Auch für die bereits seit Jahren diskutierten Organisationsmodelle, bei denen sich verschiedene Verwaltungen und Verwaltungsebenen gemeinsame Back Offices teilen, würden sich neue Realisierungschancen ergeben.
Die Stärkung der interkommunalen Zusammenarbeit ist seit Jahren erklärtes Ziel sowohl des Landes Sachsen-Anhalt wie auch der kommunalen Spitzenverbände. Bleibt es allerdings bei der bisherigen Geschwindigkeit in der Umsetzung entsprechender Vorhaben, wird auch das Ziel der Einführung einer elektronischen Rechnungsbearbeitung bis 2020 auf kommunaler Ebene deutlich verfehlt werden.
Autor: Prof. Dr. Jens Weiß
Professur für Verwaltungswissenschaften Hochschule Harz
E-Mail: jweiss@hs-harz.de
Zitat und weitere Informationen in C. Rogall-Grothe (Hg.): Leitfaden Elektronische Rechnung in der öffentlichen Verwaltung – Grundlagen, Umsetzungsempfehlungen, Best Practices, Frankfurt a.M. 2014.