79. Ausgabe, 4. Quartal 2020

Digitalisierung – so kommen wir (nicht) weiter!

Gespräch mit SIKOSA-Institutsleiter Prof. Dr. Dirk Furchert

Auf dem Weg der Digitalisierung braucht es eine neue Form der Zusammen-arbeit: Kollaboration statt Kooperation. Professor Dr. Dirk Furchert, Institutsleiter des Studieninstituts für kommunale Verwaltung Sachsen-Anhalt e.V. SIKOSA und Geschäftsführer der SIKOSA Beratung, erklärt warum.

Prof. Dr. Dirk Furchert

 

Wenn das Onlinezugangsgesetz (OZG) umgesetzt ist, wenn alle Schulen und Rathäuser ihren Anschluss an das Glasfasernetz haben, dann ist die Digitalisierung der Verwaltung geschafft. Ist das so oder führt diese Auffassung geradewegs auf den Holzweg?
Nach meiner Auffassung handelt es sich hier um ein großes und weit verbreitetes Missverständnis: Die OZG-Umsetzung ist ein Projekt, ein Meilenstein auf dem Weg der Digitalisierung. Wir wissen, was umgesetzt werden muss und bis wann. Der Zugang zu schnellem Internet, die Verkabelung der Gebäude, Servertechnik, PCs und Laptops oder auch Dokumentenmanagementsystem DMS und e-Akte sind jeweils einzelne Projekte oder Meilensteine. Die Digitalisierung endet damit aber nicht, sie ist ein dauerhafter Transformationsprozess. Für diesen Prozess gibt es weder einen Schlusstermin noch ein konkretes Ziel. Die Ziele verändern sich, während der Prozess fortschreitet, entsprechend verändern sich die Wege, es wird immer wieder neue Projekte, neue Meilensteine geben.

Warum kommen die Akteure dieses Prozesses mit den bisher üblichen Formen der Zusammenarbeit nicht weiter?
Ich erlebe in der Praxis häufig, dass die Beteiligten nebeneinanderher arbeiten. Nehmen wir den klassischen Fall Kooperation: Die Beteiligten kommen zum Beispiel aus den Bereichen Organisation, Personalmanagement, IT und dem Fachamt. Jeder hat eigene Kompetenzen und berechtigte Sichtweisen. Sie treffen sich zur Besprechung, sie stimmen sich über ihr gemeinsames Ziel und über Einzelaufgaben ab. Dann geht jeder zurück in seinen Arbeitsbereich und arbeitet, so gut es geht, an seiner Teilaufgabe. Schließlich treffen sich die Beteiligten wieder. Im besten Fall passen die Teilergebnisse und können erfolgreich zusammengeführt werden.
Aber wie häufig ist das in der Praxis der Fall? Unabhängig davon: Man könnte das mit der Arbeit am Fließband vergleichen, da hat jeder seine Aufgabe, eins greift ins andere und am Ende ist das Produkt, zum Beispiel das Auto, fertig, weil jeder Beteiligte entsprechend seiner Qualifikation gut zugearbeitet hat.  Das Auto ist ein Projekt, ein Meilenstein. Mobilität aber, die dem Auto zugrunde liegt, ist ein dauerhafter Transformationsprozess, genauso wie Digitalisierung.  Diese dauerhafte Transformation erfordert andere Formen der Zusammenarbeit und des Denkens. Wir brauchen ein Miteinander statt Nebeneinander und wir brauchen einen Perspektivwechsel.

Worauf kommt es beim miteinander Arbeiten an und worauf ist der Fokus zu richten?
Ich bin der Überzeugung, dass wir nur etwas bewegen können, indem wir Arbeits- und IT-Prozesse miteinander vernetzen, die Vorteile der unterschiedlichen Sicht- und Denkweisen gezielt nutzen und wenn wir dabei immer vom Kunden aus denken. Was braucht der Empfänger unserer Leistung und wie muss demzufolge das Endprodukt oder die Dienstleistung aussehen? Was braucht der Verwaltungsmitarbeiter an seinem Arbeitsplatz, was braucht der Bürger, der eine Verwaltungsdienstleistung in Anspruch nimmt? Dabei müssen wir mit agilen Methoden arbeiten, das heißt, unser Bild vom Endprodukt wird nicht festgeschrieben, es ist zunächst ein grobes Bild. Auf dem Weg dorthin dürfen sich immer wieder neue Anpassungen ergeben. Wir dürfen Visionen haben und auch Dinge denken, die wir zunächst für unmöglich halten. Es gibt immer neue Wünsche, Herausforderungen, Hindernisse. Also muss auch das Ziel, das Endprodukt, das wir im Sinn haben, immer wieder hinterfragt und der Weg angepasst werden.

Wie funktioniert Kollaboration im Gegensatz zur Kooperation?
Bei der Kollaboration arbeiten sich die Professionen nicht nur gut gegenseitig zu, sondern sie arbeiten Hand in Hand. Wir hatten vorhin das Fließband als Beispiel für Kooperation. Nun stellen Sie sich im Gegensatz dazu eine OP im Krankenhaus vor. Hochspezialisierte Fachärzte und OP-Schwestern stehen am OP-Tisch und müssen auf spezifische und unvorhersehbare Situationen eingehen. Was ist, wenn eine Blutung nicht zum Stillstand kommt? Was ist, wenn zusätzlich zum bekannten Problem während der Operation ein weiteres sichtbar wird? Die OP ist komplex und der Organismus lebendig, ebenso wie Verwaltungen eben auch lebendige Systeme sind. Das OP-Team darf also nicht mechanisch wie ein Uhrwerk funktionieren. Hier werden unterschiedliche Kompetenzen und Denkansätze, die alle ihre Berechtigung haben, mit dem einen Ziel zusammengeführt, das Leben des Patienten zu retten, seine Heilung zu ermöglichen und dabei alle plötzlich auftretenden Komplikationen zu meistern. Das ist Kollaboration und das ist genau die Zusammenarbeit, die wir für den Transformationsprozess Digitalisierung brauchen.

Das heißt aber auch, dass die Zusammenarbeit anders organisiert werden muss …
Richtig, wir können uns nicht mit einer Besprechung, einer Zwischenstandsmeldung und einer Abschlussberatung begnügen. Wir haben hier eine andere, wesentlich intensivere Form der Kommunikation. Zum Beispiel kann es nach der Auftaktbesprechung täglich kurze, agile Morgenbesprechungen geben, bei denen jeder mitteilt, welche neuen Aspekte aus seiner Sicht zu berücksichtigen sind. Damit das so stattfinden kann, ist es wichtig, ein geeignetes Team zusammengestellt zu haben. Dabei geht es nicht nur um den Spezialisten, der Fachwissen liefert, sondern auch um den Neuerer oder Visionär, der Ideen einbringt, den Weichensteller, der Kontakte entwickelt, den Koordinator und Integrator, der Entscheidungsprozesse fördert. Es wird der Macher gebraucht, der den Mut hat, Hindernisse zu überwinden, der Beobachter, der die Vorschläge auf Machbarkeit prüft, der Teamplayer, der Reibungsverluste abbaut, der Umsetzer sowie der Perfektionist, der optimale Ergebnisse sicherstellt. Es muss klar sein, dass jede dieser Kompetenzen oder Professionen gebraucht wird und gleichwertig ist. Es geht um einen wertschätzenden, respektvollen Umgang miteinander. Und auch der Humor sollte nicht fehlen.

Wie lässt sich solch eine intensive Zusammenarbeit und Kommunikation in Zeiten von Lockdowns mit Arbeit auf Distanz und Homeoffice gestalten?
Gerade in diesen Zeiten kommt es noch mehr darauf an achtzugeben, welche Form von Kommunikation wir betreiben. Technisch vermittelte Kommunikation ist in jedem Fall schwieriger als persönlicher Kontakt. Das klärende direkte Gespräch in der Teeküche findet nicht statt. Deshalb ist es besonders wichtig, sich Zeit zu nehmen und wertschätzend miteinander zu kommunizieren, wenn Missverständnisse auftreten. Kommunikation ist Beziehungsarbeit, es geht immer um Menschen. Es ist gerade jetzt eine große Herausforderung, menschlichen Kontakt aufrechtzuerhalten und gut zu gestalten. Wir müssen uns deshalb über unsere Werte verständigen und Spielregeln vereinbaren.

Autor: bek