69. Ausgabe, 2. Quartal 2018

Heimat - das Gefühl dazuzugehören

Das schöne Landleben ist gut vernetzt noch schöner

Bayern hat es seit Jahren, nun gibt es für ganz Deutschland ein Heimatministerium. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hat die langfristige Aufgabe, Chancengleichheit im Sinne von gleichen Lebensbedingungen in Städten und im ländlichen Raum sowie in Ost und West herzustellen. Andreas Brohm, Bürgermeister der Stadt Tangerhütte mit 32 Orten, weiß, es lebt sich gut auf dem Land. Entscheidend sind eine gute Grundausstattung und Vernetzung.

Andreas Brohm ist seit November 2014 Bürgermeister der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte mit 32 Ortsteilen und 10.823 Einwohnern.
Andreas Brohm ist seit November 2014 Bürgermeister der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte mit 32 Ortsteilen und 10.823 Einwohnern.

Heimat ist Herkunft, Kultur, ein Gefühl oder der Ort, an dem Familie und Freunde leben. Was bedeutet Heimat für Sie?

Für mich ist Heimat der Ort, mit dem ich mich verbunden fühle. Ich bin in Tangerhütte groß geworden, hier haben wir als Kinder gespielt. 15 Jahre bin ich unterwegs gewesen, ich habe in Leipzig studiert, habe danach im Ausland und in deutschen Großstädten wie Köln, Stuttgart und Berlin gelebt. Ich bin als Tourleiter im Musical-Business viel herumgekommen. Das war wunderschön und spannend, doch wenn Kinder da sind, werden die Wurzeln wieder wichtig und der ländliche Raum attraktiv. Hier haben wir familiäre Unterstützung, das ist das Zuhause. Dorf und Kleinstadt sind wie eine große WG, die Menschen identifizieren sich mit ihrem Ort, sie fühlen sich zugehörig.

Wie zeigt sich dieses Zugehörigkeitsgefühl in Ihrer Einheitsgemeinde

In einem sehr vielseitigen und mit großem Engagement gestalteten Vereinsleben und jüngst in einem grandiosen Erfolg: Mit der Spendenaktion DACHSCHADEN haben die Einwohner das Neue Schloss im Gartenträumepark Tangerhütte gerettet. 62.500 Euro sind zusammengekommen. Das sind die Eigenmittel für die dringend notwendige Dachsanierung. Damit ist der Weg frei für die insgesamt 250.000 Euro schwere Investition im Rahmen des LEADER-Programms der EU. Das ist gelungen, weil die Bürger daran geglaubt haben. Das schweißt zusammen.

Gleiche Lebensbedingungen in Stadt und Land werden laut Koalitionsvertrag angestrebt. Wie gleich sollten Stadt und Land Ihrer Meinung nach sein und was fehlt da noch?

70 Prozent der Menschen leben im ländlichen Raum. Macht es Sinn, die 30 Prozent, die in größeren Städten leben, als Standard zu setzen, den die anderen 70 Prozent erreichen sollen? Die Stadt ist so hipp, weil sie viele Konsumenten hat, die viele Dinge ermöglichen, die in dünn besiedelten Regionen unbezahlbar sind. Wir brauchen in Tangerhütte kein Opernhaus und keine Universität, aber wir brauchen einen ganzheitlichen Blick auf Deutschland und eine Idee, wie Bund, Länder und Kommunen mit einer gemeinsamen Ausrichtung entwickelt werden sollen.  Es geht um Grundausstattung mit Kitas, Schulen, Bürgerservice und medizinischer Versorgung, es geht um die Anbindung ans schnelle Internet und um Mobilität.

Welchen Stellenwert haben dabei Straßenbau und öffentlicher Personennahverkehr?

Mobilität ist essentiell. Viele Altmark-Bewohner arbeiten in Magdeburg, Wolfsburg, Hamburg oder Berlin. Für sie geht es darum, mit wieviel Zeit- und Geldaufwand sie ihre Lebensauffassung umsetzen können, auf dem Land zu leben und größere Strecken zur Arbeit zu pendeln. Wie können wir das erträglich gestalten und Fahrtzeiten reduzieren? Und es geht um ältere Bürger ohne Auto, die Einkäufe, Arztbesuche und andere Wege erledigen wollen und müssen. Wir brauchen an diese Bedarfe angepasste Lösungen.

Voraussetzung für diese digitale Vernetzung ist, dass alle Ortschaften und Haushalte Internetzugang haben. Wie ist der Stand in Tangerhütte und den 32 Orten der Einheitsgemeinde?

Ein Drittel der Ortschaften hat immer noch ein akutes Internetproblem. Die Netzbetreiber sind dabei, die Anbindung auf den Weg zu bringen. Wir hoffen, dass der Anschluss aller Haushalte in den nächsten drei Jahren in der Altmark geschafft ist.  Eigentlich wollten wir schon in diesem Jahr fertigwerden, doch von Seiten des Landes werden wir immer mal wieder gebremst und große Telekommunikationsanbieter werden vorgezogen, obwohl regionale Unternehmen schneller agieren könnten.

Das Land hat eine digitale Agenda auf den Weg gebracht und will bis 2021 rund 300 Millionen Euro in den flächendeckenden Breitbandausbau investieren. Das klingt doch gut … 

Leider fehlt es an Fantasie und Pragmatismus. Es macht für mich keinen Sinn, an der flächendeckenden Breitbandversorgung mit 50 Mbit festzuhalten, obwohl längst bessere Technologien zur Verfügung stehen. Sachsen-Anhalt gehört zu den am stärksten vom demografischen Wandel betroffenen Regionen in Deutschland. Das heißt, wir müssen besonders kreativ Lösungen für die Daseinsvorsorge entwickeln. 50 oder 100 Mbit sind dafür gewiss nicht die geeignete Antwort.

„Auf den Bühnen ist Schluss, wenn der Applaus endet. Hier in Tangerhütte will ich etwas Bleibendes auf den Weg bringen.“

Sondern?

Es sollte die beste zur Verfügung stehende Technologie verbaut werden und die heißt FTTH - Fibre to the Home. Wir brauchen Glasfasernetze und Glasfaseranschlüsse für Haushalte und Gewerbetreibende, denn wir werden mit dem, was jetzt verbaut wird, viele Jahre leben. Gerade für die dünn besiedelten Regionen ist es essentiell, mit Glasfaser versorgt zu werden, um strukturelle Nachteile auszugleichen.

Drei Jahre bis zur flächendeckenden Anbindung an schnelles Internet – das ist ein überschaubarer Zeitraum. Sie sind trotzdem ungeduldig …

Wir könnten viel weiter sein und unsere Kräfte für andere Prozesse aufwenden. Und wenn wir schneller vorankämen, hätten wir einen anderen Spirit in der Bevölkerung – mehr Enthusiasmus und Zufriedenheit. Die Leute wären noch viel lieber Altmärker als sie es schon sind. Da sind wir wieder beim Heimatgefühl.

Welche Schritte unternimmt Tangerhütte aktuell, um bei der Digitalisierung weiter voranzukommen?

Die Altmark ist ein beliebtes Reiseziel und steht für sanften Tourismus. Um Anbieter und Gäste effektiver miteinander zu vernetzen, bauen wir ein digitales Gästeportal auf. Die Domain altmarkurlaub.de haben wir uns gesichert und bei der Investitionsbank Sachsen-Anhalt Fördermittel im Programm Sachsen-Anhalt REGIO beantragt. Bis zum Jahresende sollen die Gästebetten der Einheitsgemeinde Tangerhütte in die Website eingestellt sein, bis Ende 2019 dann die Unterkünfte der gesamten Altmark.

Was kann oder sollte die KITU im Prozess der Digitalisierung leisten?

Das E-Government steckt noch in den Kinderschuhen. Wir brauchen geeignete Software, einen einheitlichen Standard, wir brauchen jemanden, der uns bei der Digitalisierung der Verwaltung an die Hand nimmt. Das kann die KITU sein.

Bürgercafe
Das „Bürgercafé im Gartentraum“ im Neuen Schloss Tangerhütte öffnete im April erstmals seine Pforten. Fotos (2): Stadt Tangerhütte

Autor: bek